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Baltic Cup Champion
Christian2016 schrieb vor 2 Stunden:

Ich verneige mich vor deinem Alter und deiner Weisheit, auch wenn ich hier im ASB ja selbst schon eher zu den älteren Semestern gehören dürfte, wenn ich lese, dass viele die WM 1998 nicht miterlebt haben oder noch zu klein waren.

Beim Spiel am Dienstag, vorm 1:1, musste ich in der zweiten Halbzeit ständig an dich denken und wie du nach unserer Auftaktsiegesserie in der Gruppe noch gewarnt hattest, dass das ganze damals in der EM-Quali in den 80ern auch ähnlich war und am Schluss die anderen tanzten und nicht wir. Gottseidank hat die junge Generation dann doch noch im letzten Abdruck gezeigt, dass die Geschichte sich nicht immer wiederholen muss.

 

Geschichte wiederholt sich immer - in diesem Fall halt die von Izmir. :D

 

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Und jetzt auch noch ein längerer Rückblick auf diese Woche von mir.

Ich muss sagen, ich war doch einigermaßen optimistisch vor dem Spiel. Die Playoff-Hintertür im Hinterkopf hatte doch für etwas Linderung bei der nervlichen Belastung gesorgt, ganz anders als etwa bei unseren letzten beiden KO-Spielen 2021 und 2024. Trotzdem war das 1:0 der Bosnier ein Schlag in die Magengrube. Das durfte einfach nicht wahr sein. Es ging daraufhin irgendwie alles den Bach hinunter, die ganze Ära Rangnick drohte in dem Moment förmlich zwischen den Fingern zu verrinnen. Ich war der Verzweiflung nahe oder sogar einen Schritt weiter.

Beim vermeintlichen Ausgleich von Laimer habe ich so laut geschrien, dass man mich im ganzen Viertel hören hat müssen und die Hauswände gewackelt haben. Und dann der VAR. Beim Gedanken daran kriege ich noch jetzt richtig Angstzustände.

In der zweiten Halbzeit war dann für mich völlig logisch, wie es weitergehen und enden würde. Ich war wieder der Fan, der ich nie mehr zu sein glaubte, ich war das Österreich früherer Jahre, gebrochen, erledigt, besiegt, rechnete fix mit einem 0:2 in der Nachspielzeit und nationaler Trauerstimmung. Zum allerersten Mal in der Ära Rangnick hatte ich den Glauben an Spieler und Teamchef verloren, bin nur noch deprimiert auf und ab geirrt, innerlich den ganzen Fußball insgesamt verfluchend, mit jedem Blick aufs Spiel und jedem mitangesehenen verlorenen Ball noch deprimierter, während die Minuten rasend schnell verstrichen und alles auf den bitteren Schlusspfiff zusteuerte. Es war wieder Solna, Island, Leipzig. Die WM 1998 mit all den tausende Male abgespielten berühmten Szenen sollte für immer ein Einzelfall im Leben bleiben, für immer unerreichbar und nie mehr wiederholbar, so wie die Jugend und die Vergangenheit niemals wieder zurückkehren.

In diesem Zustand war ich also, den Österreich-Schal um den Hals gewickelt, um darin in Kürze meine Tränen der Enttäuschung aufzufangen.

Dann ging über dem Ernst-Happel-Stadion die Sonne auf. Eine Flanke, Arnautovic stürzt vor dem bosnischen Goalie, unübersichtliche Lage, Latte! Nein! Nein! Doch, die Erlösung!

Gregoritsch hat in diesem Moment nicht nur Österreich zur WM geschossen, sondern für mich persönlich den ganzen Fußball gerettet.

Die ersten Sekunden war ich verwirrt, vermochte gar nicht unmittelbar den Schalter von Trauer auf Euphorie umzulegen, zu präsent war noch die Erinnerung an die VAR-Szene zuvor. Aber als ich die Jubeltraube sah und auch im Fernsehkommentar keine Zweifel am Tor geäußert wurden, war mir klar, dass das jetzt nicht nur wieder ein vergeblicher Traum war, sondern die wunderschöne Wirklichkeit.

Was danach noch passierte, ist Geschichte. Die kämpferische Leistung, die Abgebrühtheit, das Feiern eines jeden Out-Einwurfs, die ganze Bank, die in der Nachspielzeit aufgestanden ist und in diesen letzten Sekunden nur noch den einen einzigen, sehnlichsten Wunsch hat, endlich aufs Feld stürmen zu dürfen.

Und als der Traum wahr wurde: alles nur noch wie in Trance. Geschrien, gesungen, mit vor lauter Freudentränen zitternder Stimme, verschluckt, weitergesungen, weitergeweint. In den Österreich-Schal hinein. Ungläubig, nicht mehr unserem Nationalteam und Ralf Rangnick gegenüber, sondern dem plötzlich so freudvollen, hellen, prächtigen rot-weiß-roten Fußballschicksal gegenüber. Ein Fußballmoment für die Ewigkeit, für die Unendlichkeit.

Dafür, dass ich diesen Moment mit dem Nationalteam erleben durfte, bin ich unendlich dankbar. Es war ein Sieg über die Geister der Vergangenheit, über alles, was in Österreichs Fußball seit 1998 an schlimmen Episoden geschehen war, wobei die schlimmsten oftmals gerade die waren, in denen nach wiederbelebter Euphorie ein Aufschlag auf den Boden der Realität folgte. Sei es die chancenlose Barrage gegen die Türkei nach Herzogs Tor in Israel, die jeweils verpassten Qualifikationen nach dem 2:2 gegen England, dem 3:1 gegen Frankreich und dem 4:4 gegen Belgien, die ganze Euro 2016, der ernüchternde Herbst nach der Italien-Niederlage unter Foda oder eben zuletzt Leipzig.

Diese Qualifikation ist bereits für sich genommen ein Erfolg, bei dem es einen solchen Aufschlag auf den Boden nicht mehr geben kann, ganz egal, wie wir uns letztendlich in Amerika schlagen werden. Zu endlos lange war die Wartezeit auf diese Weltmeisterschaft, zu einzigartig ist bereits die Teilnahme an ihr im Vergleich zu allen anderen Bewerben in diesem wunderschönen, geliebten und das Leben bereichernden Sport. Ich weiß das, denn ich habe 1998 erlebt. Ich weiß, wie enttäuscht wir zunächst alle waren, als nach der Gruppe Schluss war, und doch erinnere ich mich Jahrzehnte später noch an die Spiele, an die Szenen, an der Wortlaut der Kommentare, an die Ausgleichstore in letzter Sekunde, auch wenn sie in der Endabrechnung ja gar nichts mehr bewirkt hatten. Auch über unsere Weltmeisterschaften 1934, 1954, 1958, 1978, 1982 und 1990 reden wir heute noch, wissen teilweise Ergebnisse und Torschützen von Österreich aus einer Zeit auswendig, in der Schwarzweißbilder gerade erst zu laufen gelernt hatten. Oh ja, eine Weltmeisterschaft ist wirklich einzigartig. All unsere eigenen ehemaligen WM-Spieler, die in den Stunden und Tagen seit dem historischen Dienstagabend zu Wort gekommen sind, von Herzog über Vastic bis hin zu Ogris, Pfeffer, Haas, Pfeifenberger, Schopp, Wetl, Mählich, Prohaska und Polster, bestätigen das. Und unsere jetzigen Spieler, die man später einmal die 26er nennen wird, sehen das zum Glück genauso.


Es gibt natürlich viele Baustellen, und wir haben viele Probleme. Ja. Freilich. Wir müssen überall und in allem besser werden. Wir haben keinen Weltklassegoalie, wir kriegen ständig vermeidbare Tore. Die Tormannfrage ist für mich völlig offen. Wir haben ein bekanntes Problem im Sturm, Arnautovic ist nicht mehr der Jüngste, aber auch einige andere Stützen im Team sind in die Jahre gekommen. Wir haben einen David Alaba, den vielleicht besten Österreicher seit Sindelar, der mit seinen Verletzungen endgültig in einer Karrierekrise angekommen ist und sich überlegen muss, wie und wo er sich in der Winterpause wieder erfängt. Und es droht natürlich eine ähnliche Gefahr wie 2016, nämlich dass das Teamgefüge schon zu gut ist, der Kader dadurch zu starr und steif und die Stammplätze zu wenig umkämpft.

Das alles soll jedoch jetzt niemandem von uns die Freude verderben oder auch nur die Euphorie trüben. Wir haben eine lebende Trainerlegende an der Seitenlinie. Der ÖFB arbeitet hier und heute wahrscheinlich so professionell wie noch nie zuvor in seiner ganzen langen, wechselhaften Geschichte. Lehnen wir uns erst einmal zurück, freuen wir uns, genießen wir die Auslosung, lassen wir unsere Phantasie spielen, träumen wir, und dann, im magischen Sommer 2026, lasst uns österreichische Fußballfans im schönsten Sinne des Wortes sein - für uns Ältere wie früher, für euch Jüngere wie nie zuvor.

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Weltklassecoach
47 minutes ago, Christian2016 said:

Und jetzt auch noch ein längerer Rückblick auf diese Woche von mir.

Ich muss sagen, ich war doch einigermaßen optimistisch vor dem Spiel. Die Playoff-Hintertür im Hinterkopf hatte doch für etwas Linderung bei der nervlichen Belastung gesorgt, ganz anders als etwa bei unseren letzten beiden KO-Spielen 2021 und 2024. Trotzdem war das 1:0 der Bosnier ein Schlag in die Magengrube. Das durfte einfach nicht wahr sein. Es ging daraufhin irgendwie alles den Bach hinunter, die ganze Ära Rangnick drohte in dem Moment förmlich zwischen den Fingern zu verrinnen. Ich war der Verzweiflung nahe oder sogar einen Schritt weiter.

Beim vermeintlichen Ausgleich von Laimer habe ich so laut geschrien, dass man mich im ganzen Viertel hören hat müssen und die Hauswände gewackelt haben. Und dann der VAR. Beim Gedanken daran kriege ich noch jetzt richtig Angstzustände.

In der zweiten Halbzeit war dann für mich völlig logisch, wie es weitergehen und enden würde. Ich war wieder der Fan, der ich nie mehr zu sein glaubte, ich war das Österreich früherer Jahre, gebrochen, erledigt, besiegt, rechnete fix mit einem 0:2 in der Nachspielzeit und nationaler Trauerstimmung. Zum allerersten Mal in der Ära Rangnick hatte ich den Glauben an Spieler und Teamchef verloren, bin nur noch deprimiert auf und ab geirrt, innerlich den ganzen Fußball insgesamt verfluchend, mit jedem Blick aufs Spiel und jedem mitangesehenen verlorenen Ball noch deprimierter, während die Minuten rasend schnell verstrichen und alles auf den bitteren Schlusspfiff zusteuerte. Es war wieder Solna, Island, Leipzig. Die WM 1998 mit all den tausende Male abgespielten berühmten Szenen sollte für immer ein Einzelfall im Leben bleiben, für immer unerreichbar und nie mehr wiederholbar, so wie die Jugend und die Vergangenheit niemals wieder zurückkehren.

In diesem Zustand war ich also, den Österreich-Schal um den Hals gewickelt, um darin in Kürze meine Tränen der Enttäuschung aufzufangen.

Dann ging über dem Ernst-Happel-Stadion die Sonne auf. Eine Flanke, Arnautovic stürzt vor dem bosnischen Goalie, unübersichtliche Lage, Latte! Nein! Nein! Doch, die Erlösung!

Gregoritsch hat in diesem Moment nicht nur Österreich zur WM geschossen, sondern für mich persönlich den ganzen Fußball gerettet.

Die ersten Sekunden war ich verwirrt, vermochte gar nicht unmittelbar den Schalter von Trauer auf Euphorie umzulegen, zu präsent war noch die Erinnerung an die VAR-Szene zuvor. Aber als ich die Jubeltraube sah und auch im Fernsehkommentar keine Zweifel am Tor geäußert wurden, war mir klar, dass das jetzt nicht nur wieder ein vergeblicher Traum war, sondern die wunderschöne Wirklichkeit.

Was danach noch passierte, ist Geschichte. Die kämpferische Leistung, die Abgebrühtheit, das Feiern eines jeden Out-Einwurfs, die ganze Bank, die in der Nachspielzeit aufgestanden ist und in diesen letzten Sekunden nur noch den einen einzigen, sehnlichsten Wunsch hat, endlich aufs Feld stürmen zu dürfen.

Und als der Traum wahr wurde: alles nur noch wie in Trance. Geschrien, gesungen, mit vor lauter Freudentränen zitternder Stimme, verschluckt, weitergesungen, weitergeweint. In den Österreich-Schal hinein. Ungläubig, nicht mehr unserem Nationalteam und Ralf Rangnick gegenüber, sondern dem plötzlich so freudvollen, hellen, prächtigen rot-weiß-roten Fußballschicksal gegenüber. Ein Fußballmoment für die Ewigkeit, für die Unendlichkeit.

Dafür, dass ich diesen Moment mit dem Nationalteam erleben durfte, bin ich unendlich dankbar. Es war ein Sieg über die Geister der Vergangenheit, über alles, was in Österreichs Fußball seit 1998 an schlimmen Episoden geschehen war, wobei die schlimmsten oftmals gerade die waren, in denen nach wiederbelebter Euphorie ein Aufschlag auf den Boden der Realität folgte. Sei es die chancenlose Barrage gegen die Türkei nach Herzogs Tor in Israel, die jeweils verpassten Qualifikationen nach dem 2:2 gegen England, dem 3:1 gegen Frankreich und dem 4:4 gegen Belgien, die ganze Euro 2016, der ernüchternde Herbst nach der Italien-Niederlage unter Foda oder eben zuletzt Leipzig.

Diese Qualifikation ist bereits für sich genommen ein Erfolg, bei dem es einen solchen Aufschlag auf den Boden nicht mehr geben kann, ganz egal, wie wir uns letztendlich in Amerika schlagen werden. Zu endlos lange war die Wartezeit auf diese Weltmeisterschaft, zu einzigartig ist bereits die Teilnahme an ihr im Vergleich zu allen anderen Bewerben in diesem wunderschönen, geliebten und das Leben bereichernden Sport. Ich weiß das, denn ich habe 1998 erlebt. Ich weiß, wie enttäuscht wir zunächst alle waren, als nach der Gruppe Schluss war, und doch erinnere ich mich Jahrzehnte später noch an die Spiele, an die Szenen, an der Wortlaut der Kommentare, an die Ausgleichstore in letzter Sekunde, auch wenn sie in der Endabrechnung ja gar nichts mehr bewirkt hatten. Auch über unsere Weltmeisterschaften 1934, 1954, 1958, 1978, 1982 und 1990 reden wir heute noch, wissen teilweise Ergebnisse und Torschützen von Österreich aus einer Zeit auswendig, in der Schwarzweißbilder gerade erst zu laufen gelernt hatten. Oh ja, eine Weltmeisterschaft ist wirklich einzigartig. All unsere eigenen ehemaligen WM-Spieler, die in den Stunden und Tagen seit dem historischen Dienstagabend zu Wort gekommen sind, von Herzog über Vastic bis hin zu Ogris, Pfeffer, Haas, Pfeifenberger, Schopp, Wetl, Mählich, Prohaska und Polster, bestätigen das. Und unsere jetzigen Spieler, die man später einmal die 26er nennen wird, sehen das zum Glück genauso.


Es gibt natürlich viele Baustellen, und wir haben viele Probleme. Ja. Freilich. Wir müssen überall und in allem besser werden. Wir haben keinen Weltklassegoalie, wir kriegen ständig vermeidbare Tore. Die Tormannfrage ist für mich völlig offen. Wir haben ein bekanntes Problem im Sturm, Arnautovic ist nicht mehr der Jüngste, aber auch einige andere Stützen im Team sind in die Jahre gekommen. Wir haben einen David Alaba, den vielleicht besten Österreicher seit Sindelar, der mit seinen Verletzungen endgültig in einer Karrierekrise angekommen ist und sich überlegen muss, wie und wo er sich in der Winterpause wieder erfängt. Und es droht natürlich eine ähnliche Gefahr wie 2016, nämlich dass das Teamgefüge schon zu gut ist, der Kader dadurch zu starr und steif und die Stammplätze zu wenig umkämpft.

Das alles soll jedoch jetzt niemandem von uns die Freude verderben oder auch nur die Euphorie trüben. Wir haben eine lebende Trainerlegende an der Seitenlinie. Der ÖFB arbeitet hier und heute wahrscheinlich so professionell wie noch nie zuvor in seiner ganzen langen, wechselhaften Geschichte. Lehnen wir uns erst einmal zurück, freuen wir uns, genießen wir die Auslosung, lassen wir unsere Phantasie spielen, träumen wir, und dann, im magischen Sommer 2026, lasst uns österreichische Fußballfans im schönsten Sinne des Wortes sein - für uns Ältere wie früher, für euch Jüngere wie nie zuvor.

Wunderschön, danke für diese Worte! :huldigung:
Mir ist es im Stadion eigentlich genau gleich ergangen, wahrscheinlich ganz Fußball-Österreich, ich hätte aber nicht annähernd solche treffenden Worte gefunden.

Ich konnte mich beim tatsächlichen Ausgleich erst nach dem Anstoß freuen, so stark war die Angst, das Trauma aus der ersten Hälfte, der VAR könnte neuerlich alle Hoffnungen, alle Freude zertrümmern.

Ich glaube so richtig verarbeiten werde ich das ganze erst können, wenn ich mir dann die neuen Folgen der Doku anschaue, um alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Im Stadion ist mir für das Verarbeiten der Geschehnisse dann doch irgendwie alles zu wild und bei 6/8 Partien im Stadion ist damit noch ein großer Brocken zu verarbeiten :lol:.

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Baltic Cup Champion

Ich hab ja schon gejubelt als der Ball an die Latte ging, weil ich mir ganz sicher war, dass der reingegangen ist - als dann Gregerl die Kugel nochmal reingebombt hat war ich komplett verwirrt. :lol:
Aber irgendwie hatte ich nie Angst, dass das Tor nicht zählen könnte - während ich mir beim ersten Tor sofort sicher war, dass er es aberkennen würde sobald der VAR sich einschaltete, ich hatte mich schon davor gewundert, dass er das Foul nicht gegeben hatte. 

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Christian2016 schrieb vor 3 Stunden:

Und jetzt auch noch ein längerer Rückblick auf diese Woche von mir.

Ich muss sagen, ich war doch einigermaßen optimistisch vor dem Spiel. Die Playoff-Hintertür im Hinterkopf hatte doch für etwas Linderung bei der nervlichen Belastung gesorgt, ganz anders als etwa bei unseren letzten beiden KO-Spielen 2021 und 2024. Trotzdem war das 1:0 der Bosnier ein Schlag in die Magengrube. Das durfte einfach nicht wahr sein. Es ging daraufhin irgendwie alles den Bach hinunter, die ganze Ära Rangnick drohte in dem Moment förmlich zwischen den Fingern zu verrinnen. Ich war der Verzweiflung nahe oder sogar einen Schritt weiter.

Beim vermeintlichen Ausgleich von Laimer habe ich so laut geschrien, dass man mich im ganzen Viertel hören hat müssen und die Hauswände gewackelt haben. Und dann der VAR. Beim Gedanken daran kriege ich noch jetzt richtig Angstzustände.

In der zweiten Halbzeit war dann für mich völlig logisch, wie es weitergehen und enden würde. Ich war wieder der Fan, der ich nie mehr zu sein glaubte, ich war das Österreich früherer Jahre, gebrochen, erledigt, besiegt, rechnete fix mit einem 0:2 in der Nachspielzeit und nationaler Trauerstimmung. Zum allerersten Mal in der Ära Rangnick hatte ich den Glauben an Spieler und Teamchef verloren, bin nur noch deprimiert auf und ab geirrt, innerlich den ganzen Fußball insgesamt verfluchend, mit jedem Blick aufs Spiel und jedem mitangesehenen verlorenen Ball noch deprimierter, während die Minuten rasend schnell verstrichen und alles auf den bitteren Schlusspfiff zusteuerte. Es war wieder Solna, Island, Leipzig. Die WM 1998 mit all den tausende Male abgespielten berühmten Szenen sollte für immer ein Einzelfall im Leben bleiben, für immer unerreichbar und nie mehr wiederholbar, so wie die Jugend und die Vergangenheit niemals wieder zurückkehren.

In diesem Zustand war ich also, den Österreich-Schal um den Hals gewickelt, um darin in Kürze meine Tränen der Enttäuschung aufzufangen.

Dann ging über dem Ernst-Happel-Stadion die Sonne auf. Eine Flanke, Arnautovic stürzt vor dem bosnischen Goalie, unübersichtliche Lage, Latte! Nein! Nein! Doch, die Erlösung!

Gregoritsch hat in diesem Moment nicht nur Österreich zur WM geschossen, sondern für mich persönlich den ganzen Fußball gerettet.

Die ersten Sekunden war ich verwirrt, vermochte gar nicht unmittelbar den Schalter von Trauer auf Euphorie umzulegen, zu präsent war noch die Erinnerung an die VAR-Szene zuvor. Aber als ich die Jubeltraube sah und auch im Fernsehkommentar keine Zweifel am Tor geäußert wurden, war mir klar, dass das jetzt nicht nur wieder ein vergeblicher Traum war, sondern die wunderschöne Wirklichkeit.

Was danach noch passierte, ist Geschichte. Die kämpferische Leistung, die Abgebrühtheit, das Feiern eines jeden Out-Einwurfs, die ganze Bank, die in der Nachspielzeit aufgestanden ist und in diesen letzten Sekunden nur noch den einen einzigen, sehnlichsten Wunsch hat, endlich aufs Feld stürmen zu dürfen.

Und als der Traum wahr wurde: alles nur noch wie in Trance. Geschrien, gesungen, mit vor lauter Freudentränen zitternder Stimme, verschluckt, weitergesungen, weitergeweint. In den Österreich-Schal hinein. Ungläubig, nicht mehr unserem Nationalteam und Ralf Rangnick gegenüber, sondern dem plötzlich so freudvollen, hellen, prächtigen rot-weiß-roten Fußballschicksal gegenüber. Ein Fußballmoment für die Ewigkeit, für die Unendlichkeit.

Dafür, dass ich diesen Moment mit dem Nationalteam erleben durfte, bin ich unendlich dankbar. Es war ein Sieg über die Geister der Vergangenheit, über alles, was in Österreichs Fußball seit 1998 an schlimmen Episoden geschehen war, wobei die schlimmsten oftmals gerade die waren, in denen nach wiederbelebter Euphorie ein Aufschlag auf den Boden der Realität folgte. Sei es die chancenlose Barrage gegen die Türkei nach Herzogs Tor in Israel, die jeweils verpassten Qualifikationen nach dem 2:2 gegen England, dem 3:1 gegen Frankreich und dem 4:4 gegen Belgien, die ganze Euro 2016, der ernüchternde Herbst nach der Italien-Niederlage unter Foda oder eben zuletzt Leipzig.

Diese Qualifikation ist bereits für sich genommen ein Erfolg, bei dem es einen solchen Aufschlag auf den Boden nicht mehr geben kann, ganz egal, wie wir uns letztendlich in Amerika schlagen werden. Zu endlos lange war die Wartezeit auf diese Weltmeisterschaft, zu einzigartig ist bereits die Teilnahme an ihr im Vergleich zu allen anderen Bewerben in diesem wunderschönen, geliebten und das Leben bereichernden Sport. Ich weiß das, denn ich habe 1998 erlebt. Ich weiß, wie enttäuscht wir zunächst alle waren, als nach der Gruppe Schluss war, und doch erinnere ich mich Jahrzehnte später noch an die Spiele, an die Szenen, an der Wortlaut der Kommentare, an die Ausgleichstore in letzter Sekunde, auch wenn sie in der Endabrechnung ja gar nichts mehr bewirkt hatten. Auch über unsere Weltmeisterschaften 1934, 1954, 1958, 1978, 1982 und 1990 reden wir heute noch, wissen teilweise Ergebnisse und Torschützen von Österreich aus einer Zeit auswendig, in der Schwarzweißbilder gerade erst zu laufen gelernt hatten. Oh ja, eine Weltmeisterschaft ist wirklich einzigartig. All unsere eigenen ehemaligen WM-Spieler, die in den Stunden und Tagen seit dem historischen Dienstagabend zu Wort gekommen sind, von Herzog über Vastic bis hin zu Ogris, Pfeffer, Haas, Pfeifenberger, Schopp, Wetl, Mählich, Prohaska und Polster, bestätigen das. Und unsere jetzigen Spieler, die man später einmal die 26er nennen wird, sehen das zum Glück genauso.


Es gibt natürlich viele Baustellen, und wir haben viele Probleme. Ja. Freilich. Wir müssen überall und in allem besser werden. Wir haben keinen Weltklassegoalie, wir kriegen ständig vermeidbare Tore. Die Tormannfrage ist für mich völlig offen. Wir haben ein bekanntes Problem im Sturm, Arnautovic ist nicht mehr der Jüngste, aber auch einige andere Stützen im Team sind in die Jahre gekommen. Wir haben einen David Alaba, den vielleicht besten Österreicher seit Sindelar, der mit seinen Verletzungen endgültig in einer Karrierekrise angekommen ist und sich überlegen muss, wie und wo er sich in der Winterpause wieder erfängt. Und es droht natürlich eine ähnliche Gefahr wie 2016, nämlich dass das Teamgefüge schon zu gut ist, der Kader dadurch zu starr und steif und die Stammplätze zu wenig umkämpft.

Das alles soll jedoch jetzt niemandem von uns die Freude verderben oder auch nur die Euphorie trüben. Wir haben eine lebende Trainerlegende an der Seitenlinie. Der ÖFB arbeitet hier und heute wahrscheinlich so professionell wie noch nie zuvor in seiner ganzen langen, wechselhaften Geschichte. Lehnen wir uns erst einmal zurück, freuen wir uns, genießen wir die Auslosung, lassen wir unsere Phantasie spielen, träumen wir, und dann, im magischen Sommer 2026, lasst uns österreichische Fußballfans im schönsten Sinne des Wortes sein - für uns Ältere wie früher, für euch Jüngere wie nie zuvor.

Shampoo für diesen Beitrag :love:

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