Fußball in Europa (Fans)


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ASB-Halbgott

Hab den Bericht gerade in einem anderen Forum gesehen, und denke, da er doch recht interessant ist, dass man ihn hier auch posten kann? :ratlos:

Vielfältig bekloppt

Der europäische Fußball verliert seine nationalen Eigenarten? Das ist zum Glück ein großer Irrtum. Die deutschen Fans zum Beispiel sind ganz sicher die lautesten.

Von Ronald Reng

Ich war noch ein Kind, doch glaubte ich als Fan der Frankfurter Eintracht schon genau zu wissen, was Glück ist: das, was immer die anderen haben. Später redete ich mir ein, es sei doch nur Fußball. Unverdrossen jedoch spürte ich ein tiefes Misstrauen gegen Menschen, die jene anderen allzeit glücklichen Mannschaften liebten. Bis mich eines Tages, es war schon nach Mitternacht, Bayern München rettete.

In einer schlecht beleuchteten römischen Nacht standen drei Italiener und ich auf dem Bahnsteig in Termini um den Schaffner herum. Lebenserfahrenere Menschen als ich mögen behaupten, wirklich schlimm sei es, in Afghanistan von den Taliban entführt zu werden. Aber so lange ich mich darin nicht auskenne, werde ich darauf bestehen: Nichts ist schlimmer, als ein Nachtzugabteil mit Fremden teilen zu müssen. Dementsprechend stand ich den Italienern in meinen Gesten in nichts nach, als der Schaffner uns eröffnete, er habe noch drei Plätze in einem Sechserabteil. Und ein Einzelabteil.

Die Diskussion dauerte schon zehn Minuten an und umfasste Argumente wie fünf Kinder zu Hause und endlich mal ruhig schlafen. Die Abfahrtszeit des Nachtzugs nach Palermo rückte auf drei Minuten heran. Da sah mich der Schaffner an. "Woher bist du?‘‘ Ich sagte: "München.‘‘ Staunend sprach er in die plötzlich heilige Stille: "Bayern München!‘‘ Ich hatte das Einzelabteil.

Ich fragte nicht, was Bayern München für den Mann getan hatte. Ich hielt es auch für keine gute Idee, ihm mitzuteilen, was ich von Bayern München hielt. Ich legte mich ins Bett meines Einzelabteils, selten kam mir eines kuschliger vor, und ich nahm mir vor, von unserem 3:2 gegen die Bayern von 1979 nach 0:2-Rückstand zu träumen.

Fußball ist der größte gemeinsame Nenner dieser Welt. Jugendliche in Rostock tragen Barcelona-Trikots, Männer in Barcelona schauen samstags - na gut, nicht Hansa Rostock - aber Sunderland gegen Manchester City im Fernsehen. Schaffner in Rom schwärmen von fernen, unbedeutenden Mannschaften. Es ist die Weltsprache der Sprachlosen, am Strand, in der Bar, im Nachtzug; das globale Spiel. Aber ist es deswegen so weltweit gleich, wie alle tun?

Jeden zweiten Mittwoch wieder, wenn in der Champions League der FC Liverpool mit fast nur Spaniern, wenn Inter Mailand ohne Italiener antritt, erklären uns die Experten, dass es den deutschen, den englischen oder den spanischen Fußball heute nicht mehr gebe, sondern nur noch multinationale Unternehmen wie Real Madrid oder FC Chelsea. Die Mannschaften und ihre Spielart mögen sich tatsächlich immer ähnlicher werden. Doch selbst in den Ländern mit den globalsten, besten Ligen wird Fußball noch immer unterschiedlich gelebt. Es ist noch immer der besondere Reiz des Sports: zu sehen, wie aus demselben Spiel in verschiedenen Ländern etwas ganz anderes wird.

Nur englische Fans bejubeln Eckbälle wie Tore. Nur spanische Kommentatoren machen sich über englische Fans lustig, die Eckbälle wie Tore bejubeln (und müssen dann oft von einem englischen Tor nach Eckball berichten). Nur italienische Spieler wie Amedeo Carboni beim FC Valencia erscheinen mit einer Pistole zum Training. Nur ein italienischer Fußballer bekommt nur in England auf der Weihnachtsfeier seines Klubs ein blutiges Schafsherz geschenkt, wie es Alessandro Pistone in Newcastle geschah.

Gerade deutsche Fans reisen jedes Jahr zu Tausenden mit pochenden Herzen zu den Europacupspielen ihrer Teams, um die nationalen Eigenarten des globalen Spiels zu entdecken. Einmal in Barcelona oder Liverpool dabei sein! Wo die Tribünen angeblich so heiß atmen. Die meisten dieser Bremer oder Schalker Fans sind dann verwirrt, wenn sie im Camp Nou oder an der Anfield Road sitzen: Da ist es leiser als zu Hause!

Ein stilles Beobachterpublikum unterwandert die klassische Fanatikerkulisse, dies ist tatsächlich ein globaler Trend. So gesehen ist es aktuell die überraschendste Besonderheit, dass es in Deutschland dagegen immer lauter wird. Nirgendwo ist Fußball heutzutage ein größeres Spektakel als in Deutschland. Obwohl das Spiel der Bundesligaklubs schon lange niemand mehr spektakulär genannt hätte. Aber die deutschen Fans machen das lauteste, sogar das schlagfertigste Geschrei. Dass dies in Deutschland selbst noch nie jemand gesagt hat, liegt daran, dass es zum deutschen Fansein gehört, italienische oder englische Fans für besser zu halten.

Frankfurt: "Heiß wie weißer Dampf"

Es musste vergangene Saison ein Engländer kommen, um das Epizentrum der Gänsehaut in Deutschland zu entdecken. Alan Oliver, der legendäre Fußballreporter des Newcastle Evening Chronicle, schrieb von Newcastles Uefa-Cup-Spiel in Frankfurt: "Heiß wie weißer Dampf war die Atmosphäre, 47.000 Fanatiker, die es mit allem aufnehmen konnten, was Newcastle auf seinen Europareisen erlebt hat und dazu gehören Besuche in Mailands San Siro, Turins Alpenstadion, Barcelonas Camp Nou. Der Lärm machte taub, und, oh Junge, oh Junge, ich hasse die Vorstellung, was passiert wäre, wenn sie ein Eintracht-Tor zu feiern gehabt hätten.‘‘ Da allerdings, das hätte ich ihm sagen können, hätte er bei der Eintracht wenig Angst haben müssen.

Etwas Merkwürdiges ist passiert im deutschen Fußball. Die Fans haben die Fußballer überholt: Die Stimmung ist besser geworden als das Spiel. Aber viel stärker als in Spanien oder England hat sich das Publikum dabei auch vom eigentlichen Ereignis losgelöst: Wie viele kommen überhaupt noch wegen des Spiels? Und wie viele wegen der Stimmung, die sie selbst erzeugen? Ich erinnere mich, wie ich einmal das Pokalspiel Aachen gegen Bayern anschaute. Es war ein packender Kampf, die Aachener Fans sangen und sangen - und ich brüllte den Fernseher an: "Jetzt hört halt auf!‘‘ Sie reagierten nicht mehr auf das, was auf dem Rasen geschah, sie sangen mechanisch ihre Jubellieder herunter, wo ihre Elf ein peitschendes Stakkato gebraucht hätte.

Es liegt an der deutschen Einsamkeit. Das war die bemerkenswerte Erklärung, die Lucien Favre, der neue Schweizer Trainer von Hertha BSC Berlin, im Zürcher Tages-Anzeiger für die spektakuläre Atmosphäre fand: "Die Leute sind sehr allein‘‘, sagte er. "Im Stadion suchen sie dann die Zusammengehörigkeit.‘‘ Nun fehlt mir die soziologische Kapazität, um zu wissen, ob die Deutschen einsamer als die Spanier oder Italiener sind, und so will ich die Partystimmung lieber mit einem Paradoxon erklären: Weil in Deutschland der Fußball am wenigsten als gieriges Geschäft betrieben wird, hat er sich am weitesten vom Spiel wegentwickelt. Tickets kosten nur halb so viel wie in anderen großen Ligen. So kann jeder kommen, so kommen mehr Partygänger. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nirgendwo geht es so fröhlich zu. Aber nirgendwo sind auch so viele Leute im Stadion, die Fußball an sich so wenig interessiert.

Dabei war Fußball für die Massen allzeit und in allen Ländern zuvorderst ein Ereignis, bei dem es darum geht, Emotionen zu spüren, seine eigenen Gefühle auszuleben. Die technischen, taktischen Details interessierten schon immer nur eine Minderheit. Doch der heutige große Unterschied zwischen den Ländern lässt sich so zusammenfassen: In Deutschland gibt es die lautesten Fans, weil der Lärm und die Party für sie nicht mehr der Zweck, sondern das Ziel sind. In England dagegen geht es den Fans vor allem darum, ihre Elf am besten zu unterstützen. In Italien bestimmen die Fans das Bild, die, teilweise gewaltsam, danach streben, eine Macht zu sein; die Macht im Stadion, im Verein, in der eigenen kranken Phantasie. Und in Spanien interessiert Fans tendenziell nur, dass ihre Mannschaft was zeigt, und der dumme Schiri sein Fett abkriegt.

In Barcelona gibt es gar keine Fankurve

Wenn der deutsche Torhüter Timo Hildebrand 45 Minuten vor Spielbeginn beim VfB Stuttgart zum Aufwärmen auf den Rasen trat, fielen Zehntausende in Ekstase. Als Hildebrand jüngst vor dem ersten Heimspiel bei seinem neuen Team FC Valencia zum Warmmachen ins Mestalla-Stadion einlief, klatschten vier Fans und einer pfiff, wie Bauarbeiter einer Frau hinterherpfeifen. Viel mehr waren auch noch nicht da. Selbst die für das Vorprogramm zuständige Blaskapelle begann erst 15 Minuten nach Hildebrand mit dem Einspielen (selbstverständlich direkt neben dem schon bald entnervten Gästetorwart).

Die Fans in Spanien kommen erst unmittelbar vor Anpfiff mit der Mentalität des Zuschauers, der etwas geboten bekommen will. Beim FC Barcelona etwa gibt es gar keine Fankurve. Während in Deutschland inzwischen immer ausverkauft ist, bleibt in Spanien - in der Liga mit dem anerkannt besten Fußball - die Hälfte der Stadien jedes Wochenende halbleer. Die, die nur nicht einsam bleiben wollen, schauen das Spiel in der Bar. Im Stadion weilt unterdessen immer noch fast exklusiv ein Fachpublikum, das anerkennend raunt, wenn etwas gelingt, das nahezu jeden Schiedsrichter empört auspfeift und ansonsten gerne konzentriert schweigt. Aber ein plötzliches, aus dem Schweigen erwachendes ,,Eeeeeey!‘‘ von 16.000, die eine Gefahr für die Abwehr im Voraus erkennen, kann schöner klingen als der Dauergesang von 60.000.

In England samstags um drei reagieren die Fans mit frenetisch begeistertem Applaus, wenn nur ein Tackling gewonnen ist; und mit frenetisch aufmunterndem Applaus, wenn ein Tackling verloren wurde. Aber sie singen kaum noch. Da die Eintrittskarten selten unter 50 Pfund kosten, sitzen fast nur noch japanische Touristen und russische Mafiosi auf den Tribünen - das zumindest ist die Mär vom englischen Fußball, der sich an den Kommerz verkauft habe. In Wirklichkeit schauen in England noch immer mehr fanatische Fußballliebhaber zu als sonstwo. Aber sie sind alt. 43 im Durchschnitt laut einer Umfrage der Premier League. Jugendliche können sich die Tickets nicht mehr leisten. Und mit 43 singt man nicht mehr.

England: Schwalbe als Schwerverbrechen

In Italien unterdessen saß ich einmal mit dem deutschen Profi André Gumprecht, der für US Lecce spielte, im Hotel, als drei Gestalten die Mannschaft besuchten. "Die sehen Hooligans ähnlich‘‘, sagte ich. Gumpi korrigierte mich: "Das sind Hooligans.‘‘ Sie holten sich die Gratistickets ab, die sie dem Team abpressten. Erst dieses Jahr kämpft der italienische Fußball ernsthaft, um die Macht über das Ambiente jenen Fans wieder zu entreißen, die Fußball mit Schlachten und ihre Klubs mit Banden verwechseln. So weit haben es die Radikalen gebracht, dass sie bei manchem Erstligisten sogar die Motivationsrede vor dem Team halten dürfen, gerne mit der Kernbotschaft: Wenn ihr verliert, kommen wir mit Eisenstangen zum Training. Wobei der junge Gumprecht im Hotel andere Leute fürchtete: "Oh Gott, da kommt mein Trainer - lass mich jetzt nicht alleine!‘‘

Das soll der multinationale, überall gleiche Fußball sein? Es wird ihn nie geben. Denn eigenartig bleibt der Fußball immer. Nur spanische Fans gehen partout nicht auf Auswärtsreisen - im Fall des FC Barcelona noch nicht einmal, wenn das Auswärtsspiel ein Derby gegen Espanyol ist, den anderen Verein in der Stadt. Nur in England betrachten es Fans als Schwerverbrechen, wenn ein Spieler per Schwalbe einen Elfmeter schinden will. Nur in England haben die Fans noch nicht gemerkt, dass ihr Nationalstürmer Michael Owen der perfekte Elfmeterschinder ist. Nur in italienischen Fußballsendungen treten mehr halbnackte Frauen als gut gekleidete Fußballer auf. Nur in Italien gibt es gut gekleidete Fußballer. Nur in Spanien rufen die Radiostationen Spieler nachts um eins zum Interview an. Nur in Spanien hört nachts um eins ein Viertel der Nation Fußballsendungen. Nur in Spanien singen die Radioreporter auch die Werbespots. Nur in Frankfurt stülpen Fans ihren Socken über das Bier, das sie vor dem Stadion trinken. Nur in Frankfurt nennen sie das Sockepumpe.

Ich kann nicht behaupten, dass ich vom Sockepumpe träumte, als mich das Klopfen an der Abteiltür des Nachtzuges Rom - Palermo aus dem Schlaf riss. Es war mein Schaffner. Ich erfuhr, wofür er Bayern München liebte. "Bayern München‘‘, sagte er, "sooo viel Geld!‘‘.

Dann verlangte er 30 Euro Trinkgeld für das Einzelabteil.

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/sport/weltfussb...0952/print.html

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held der schweinsbratenrevolution

nett geschriebener, wenngleich manchmal etwas pauschalierender artikel. aber die grundtendenz der aussage unterschreibe ich. und dazu gehört auch die meinung, dass die deutschen am lautesten sind. entkoppelt halt von dem, was am rasen passiert.

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