Blau-Gelbe Träume


Fem Fan

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Mamarazza i.R.

Unter unserem Weihnachtsbaum ist u.a. das Buch von Michael Horowitz gelegen „Das goldene Wien“, und ein Kapitel widmet er den "Blau-Gelben Träumen".

Ich bin zwar im Jahre 1963, erst in die Volksschule, und das fernab der Hohen Warte, gekommen, aber als ich diese Zeilen las, dacht ich, dass sich hier und jetzt nicht viel auf der HOWA geändert hat :D , „der unvermeidliche Bezirksvorsteher“, "der Präsident mit der blau-gelben Lieblingskrawatte", „der launige Stadionsprecher“ die besserwissenden Zuseher“ "das Raunen beim Bekanntgeben der Zuschaueranzahl" die karierten Wolldecken" und vieles mehr, aber man lese selbst und schmunzle:

Spätsommer 1963. Früher Abend. Nervöser Nieselregen. Mein Freund Jo von der 31-er Stiege in unserem Gemeindebau nimmt mich zu meinem ersten Fußballmatch mit. Hohe Warte. Hier - wo man meist ungestört vor leeren Rängen spielt- heute überraschend viele Zuschauer. Semifinale im Mitropa Cup. "Vienna" gegen "Lokomotive Leipzig". Bei Flutlicht.

"Knacker-Mannerschnitten-Sportgummi" tönt es in die Döblinger Naturarena: Das dicke, wandelnde Buffet im weißen Arbeitsmantel über der kurzen Lederhose und dem Leiberl mit der "Frucade"-Werbung hat ein kräftiges Organ. Auf der überdachten Tribüne haben bereits die letzten, unverzagten "Vienna"-Anhänger Platz genommen. Damit es das Popscherl nicht zu kalt hat sind viele der Herren in karierte Wolldecken gehüllt, die man Weg zurück vom Adriaurlaub in Caorle oder Jesolo günstig am Markt von Tarvisio ersteht.

In der Mittelloge heute Abend wieder die Herren Wichtig: der Präsident, der seine Lieblingskrawatte mit blauen und gelben Fußbällen umgebunden hat, Funktionäre mit bedeutendem Blick und rausgeputzten Gattinnen, der unvermeidliche Bezirksvorsteher und die Vertreter der Medien und des Rundfunks, die vom Platzsprecher besonders herzlich begrüßt und vom Publikum besonders laut ausgepfiffen werden.

An den Stehplatzplanken rund um das obere Sportbuffet, das ständigen "Schwechater"- Nachschub garantiert, lehnen die treuesten - von Erfolgen ihrer Mannschaft seit Jahren nicht verwöhnten - Anhänger der Blau/Gelben. Jeder Einzelne ist sein eigener Teamchef: "Der Lahner g´hört längst weg vom rechten Spitz, der Koller Karl wird heut´wieder amal da Anzige sein, der bis zum Schluß rennt, weu der sei´Lebtag nie was trunken hat ... der Webora sollt scho´in der ersten Hälfte spüln ... der Schießwald soll si´endlich zu Simmering schleich´n..".

Von Bier zu Bier werden die Diskussionen heftiger. Einig ist man sich - einmal mehr - nur in der klaren Beurteilung der katastrophalen Schiedsrichterleistung: "Des schwoarze Oarschloch, der bochene Bua, der soll si´mit seine zwa warmen Wachler über die Heisa haun ... des war g´rad a glotta Öfa .. der Piefke hat dem Röckl die Schleich wegzog´n .. a glotta Öfa, du schwoarzes Oarschloch...".

Der Herr im taubengrauen Trenchcoat - vermutlich pensionierter Schuldirektor, vielleicht auch Magistratsdirektor i.R., jedenfalls was Besseres - runzelt die Stirn und bewegt sich einige Schritte weg vom vulgären, besoffenen G´sindel. Obwohl er den aufgebrachten Fans Recht geben könnte: Dieses Foul des gegnerischen Liberos müsste man mit einem Elfmeter-Strafstoß ahnden ... Aber so ist es halt seit vielen Jahren: Die "Vienna" wird von den Schiedsrichtern krass benachteiligt - "owetragn wer ma von der bestochanan Bagage."

In der Pause die Durchsage des launigen Platzsprechers: "4.500 Besucher". Ein zufriedenes Raunen geht durch die Arena, in der sich sonst nur ein paar Hundert Unentwegte einfinden. Danach die Werbung. Der Sprecher bemüht sich um eine sonore Stimme: "Gärtnerei Böse - die größte Auswahl Döblings an Topf-, Schnitt- und Zierpflanzen, Gärtnerei Böse, sagen sie´s doch durch die Blume .../ Besuchen sie nach dem Match das Heurigenstüberl Manahus - gepflegte Weine, reichhaltiges Buffet, zivile Preise / und danach geht´s in die Trummelhof-Bar nach Grinzing, Musik, Tanz, gute Laune."

Die Blau/Gelben gewinnen 3:1. Ungewohnter Jubel auf der Hohen Warte. Im Sportbuffet oben wird jetzt zügig von G´spritzten und Bier zu Vermouth und Weinbrand übergegangen. Buben brüllen, die Spieler umrunden - die Arme triumphierend in die Luft geworfen - die Arena, der jugoslawische Platzwart beginnt bereits für das Training morgen früh den vom Regen devastierten Platz auszubessern. Der Slivo muß noch etwas warten. Auf der Tribüne bespricht man, welcher Heurige heute ausg´steckt hat, der Herr Präsident lädt den Herrn Bezirksvorsteher zum "Setzger am Kaasgraben" auf ein Grillhenderl ein.

Seltener Siegestaumel im "Hohe Warte"-Stadion. Unglaubliche Paraden des Tormannes Kurt Schmied - Schmied Kurt -, Übersicht und Laufleistung des Kapitäns Karl Koller, aber vor allem die Sturmspitze Buzek/Senekowitsch haben das Spiel für uns entschieden.

Zwei Jahre davor bin ich überzeugt, selbst Fußballer zu werden. Tore aus extrem schrägem Winkel, die mir manchmal am Olympia-Platzl gelingen, machen mir Mut. In meinem Lieblingsbuch "Die Spatzenelf" begeistern mich Köpfler und Kickerschlachten, die Geschichten vom Torschützenkönig Turl und dem Muttersöhnchen Stöpserl. Faszination Fußball. An einem schwülen Augusttag wage ich es. Endlich. Mein Ziel: die Hohe Warte. Hier willich Tore schießen. Hier will ich groß werden. Hier will ich Triumphe feiern.

Am Eingang ins Paradies, zum "First Vienna Football-Club, gegründet 1894" lehnt der hagere, düster dreinschauende Platzmeister. Kariertes Kapperl, Sandalen, mindestens Größe 48, Zahnstocher im Mundwinkel, Tschik in der Hand. Meinen kaum hörbaren Satz "Ich will Vienna-Kicker werden" beantwortet er mit einer müden, langsamen Kopfdrehung: "Gehst do eine, do, mussta Dress anziehn. Andre Buama sana scho auf Wiesen hinten ..." So einfach wird man also Fußballer. Mein Herz klopft wie bei der sten Schmuserei mit der Uli am "Schulsteig".

"Vienna-Knaben" steht an der Tür zur dunklen, hölzernen Umkleidekabine. B.a.l.d b.i.n. i.c.h. e.i.n.e.r d.a.v.o.n. Eine einzige blaugelbe Dress hängt noch an dem rostigen Haken in der Ecke neben der Duschkabine. Ich streife sie über. Und bin glücklich wie nie zuvor. Die Begrüßung der Buben draussen am Trainingsplatz ist nicht überschwänglich - aber zumindest nicht feindlich. Ab sofort bin ich jeden Tag dabei, beim Training der Vienna Knaben. Bis eines montags beim Umziehen in der Kabine seltsame Unruhe spürbar ist. "Der Pecanka" ist´wieder vom Urlaub z´ruck" zischelt der rothaarige Vickerl neben mir.

Pecanka, der Jugendtrainer: "So meine Herrn, jetzt wer´n wieder and´re Seit´n aufzog´n, i´hoff´ihr habt´s brav trainiert", begrüßt er seine Kindertruppe. "Wer bist´n du dan hinten?" fragt er in meine Richtung: "No kumm ruhig viere da, du bist je a Neicha. Also, zeig, was´d kannst! Gaberl halt amal a bissl." Das Gaberln - den Ball auf dem Rist balancieren - ist nicht meine Stärke. "Ganz ruhig, sei net so a Nerverl, probier´s no amal, mir ham olle Zeit der Wölt", muntert mich derTrainer auf. Soch nachdem derBall mehrmals nach nur ein, zwei Berührungen (Vickerl schafft mehr als hundert) von meinem Fuß seitlich abrollt, hat dieGeduld des Herrn Pecanka ein Ende. "Was was, sei g´scheit, hoit do die Partie net auf - geh´ ham, trainier daham a paar Johr weida, und wannst ´as kannst, kumst wieda."

Das Ende einer Fußballerkarriere. Der Weg zurück in die Kabine - der vielleicht trauriste Moment meines Lebens. "Hearst" ruft mir der Herr Pecanka och nach "...vergiss net, die Dress ausziagn."

(Auszug aus dem Buch "Das goldene Wien" Michael Horowitz)

Ich bin irgendwie froh, dass Horowitz das Gaberln nicht beherrschte, er wär wahrscheinlich nie Buchautor geworden und hätte nie die Vienna mit dem Goldenen Wien vereint :)

Wenn ich auch, wie oben erwähnt, 1963 noch nicht die HOWA besuchte und mir z.B. Namen wir Lahner, die Gärtnerei Böse, das Tanzlokal Trummelhofbar usw. kein Begriff sind, hab ich das Gefühl "viel verändert hat sich nicht auf der HOWA" :)

bearbeitet von Fem Fan

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Amateur

Nette Geschichte, sehr spaßig zum Lesen. :super:

Ach ja, als Freund der flüssigen Wochenendausflüge ist mir der Name Trummelhof schon geläufig, obwohl ich nicht in Döbling wohne. ;)

Genaues hierzu im www gefunden:

Zum Martin Sepp" - Das In-Beisl im Trummelhof:

Das Lokal befindet sich in den historischen Gemäuern des Trummelhofes in Grinzing. Das Gebäude mußte um 1800 nach den Franzosenkriegen neu erbaut werden. Bis zum Jahre 1925 beherbergte es einen Brauereibetrieb. Heute ist der Trummelhof das älteste Wahrzeichen Grinzings. Nach dem Krieg bis in die 60er-Jahre wurde hier die legendäre Trummelhofbar - InTreff der damaligen Zeit - betrieben. Der bekannte Münchner Architekt Zimmel hat mit viel Gespür und den Materialien Holz, Marmor und Leder dem heutigen Lokal ein unvergleichliches Flair verliehen

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Mamarazza i.R.
Nette Geschichte, sehr spaßig zum Lesen.  :super:

Ach ja, als Freund der flüssigen Wochenendausflüge ist mir der Name Trummelhof schon geläufig, obwohl ich nicht in Döbling wohne.  ;)

Genaues hierzu im www gefunden:

917749[/snapback]

Flüssige Wochenendausflüge hab ich auch noch nicht gehört :D Der Heurige Martin Sepp ist mir auch ein Begriff, wohl auch von einem solchen Ausflug :)

aber dass er im Trummelhof beheimatet ist, hab ich nicht gewusst.

bearbeitet von Fem Fan

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Im ASB-Tausenderklub

horowitz ist sowieso gut, aber daß er so gut ist, hat mich jetzt weiter bestärkt. ich seh alles beschriebene vor mir, einfach köstlich :super::love:

wenn ich mich nicht irre ist nach der gärtnerei böse, die gärtnerei hevera drangewesen und anstelle dieser bewrobenen heurigenlokale, war das gasthaus heiligenstadt dran, die uns dann den seligen Ischtwan sponserten.

danke femfan fürs abtippen, ich hab mich sehr amüsiert :winke:

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Dauer-ASB-Surfer

Naja, recht netter Text, aber mit gewisser dichterischer Freiheit gestaltet! Z.B. gabs anno '63 keine gedeckte Tribüne auf der HoWa, sondern eine kleine unüberdachte Holztribüne. An die karierten Wolldecken kann ich mich aber auch noch erinnern, die Namen, auch in den Werbedurchsagen stimmen!

Zuschauer waren mehr als die angegebenen "paar Hundert", unter 2500 warens bei Pflichtspielen zu dieser Zeit nie! Und Erfolge gabs durchaus, in diesen Jahren waren wir einmal Zweiter und einmal Dritter und im Cupfinale `61!

Der blade Bauchladenverkäufer war auch real, ebenso wie sein dürrer Kollege!

Sollte man sich aber trotzdem fast zulegen, dieses Buch!

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