Ich bin Sportphysio und Athletik Coach und ich geb gern meinen Senf dazu ;-)
Tennis ist ein unglaublich fordernder Sport, der ganzjährig gespielt wird. Es gibt nahezu keine Off-Season, somit nur eine extrem kurze Vorbereitungsperiode von einem Monat. Die Season selbst dauert 11 Monate. Diese hohe Belastung führt im Jugend- und auch im jungen Erwachsenenbereich leider zu einer sehr hohen Drop out Quote. Viele Körper halten diese Belastung nicht aus, somit bleibt nur noch die Elite übrig. Die absolute Elite (Top 50 der Welt) sehen wir regelmäßig im Fernsehen. Dorthin kann man es nur schaffen, wenn man körperlich absolute Ausnahmefähigkeiten mitbringt UND alles dem Sport unterordnet (Ausnahme Kyrgios 😅). Bei Fußballern schauen wir nicht nur den Top 50 Ausnahmeerscheinungen auf die Beine, sondern den ?Top 50.000? Da sind auch ein paar dabei, die das Profisportleben nicht ganz so genau nehmen. Ich geh davon aus, dass kein Tennisspieler während der Erste Bank Open im Volksgarten anzutreffen ist.
Aus meiner Sicht gibt es außerdem noch z.B. folgende entscheidende Unterschiede:
1. Beim Tennis wird jeder Spieler im Lauf eines Grand Slam Turniers ähnlich ermüden. Die aktuellen US Open Finalisten haben bis zum Finale beide gleich viele Runden gespielt, hatten gleich viele Ruhetage und gleich lange Regenerationszeiten. Ja, Alcaraz hatte etwas längere Matches, aber im Grunde sind beide körperlich definitiv schwächer als zu Beginn des Turniers. Wäre einer der beiden Finalisten ausgeruht, hätte er wohl alle Vorteile auf seiner Seite. Beim Fußball dagegen gibt es nicht immer die gleichen Voraussetzungen. Es werden immer die Teams bei einer (lang andauernden) Doppelbelastung im Vorteil sein, die eine annähernd gleichwertige zweite Reihe haben und somit mit Auswechslungen/Rotation Kraft sparen können. Das Team, bei dem jeder Spieler 1km/h langsamer ist als der Gegenspieler, hat schlechte Karten.
2. Tennis ist ein technisch extrem anspruchsvoller Sport und die Performance ist bei solchen Sportarten durch sehr viele Faktoren beeinflussbar. Neben Energielevel, Kampfgeist, Technik, Taktik spielt die Psyche eine gewaltige Rolle. Etwas zu viel Nervosität und daraus resultierend beispielsweise nicht mehr die richtige Muskelspannung in der Hand kann dazu führen, dass kein Ball mehr im Feld landet. (siehe Alexander Zverev jeweils in den ersten eineinhalb Sätzen des viertel- und halbfinales der us open 2020). Da spielt die Fitness plötzlich keine Rolle mehr. Selbst ein verletzter Spieler, der nicht mehr rund laufen kann, hat Chancen ein Spiel zu gewinnen, wenn dem Gegenüber die Nerven einen streich spielen. Im Gegensatz dazu, wird beim Fußball ein Team, dass immer einen Schritt schneller ist, im Normalfall auch gewinnen - Nervosität hin oder her.
3. Für die Regeneration sind 2 Dinge maßgeblich entscheidend: Schlaf und Ernährung. Da hat der Tennisspieler aus meiner Sicht einen Vorteil, weil er keine langen Reisen innerhalb eines Turniers hat. Er hat zwar auch manchmal unmenschliche Spielzeiten und kommt sehr spät ins Bett, kann aber nach dem Spiel jedes Mal sein Ritual (Essen, Physio, Schlafen) durchziehen. Und er kann den darauffolgenden Tag immerhin sehr individuell planen, dass er immer auf die notwendige Schlafdauer kommt.