Die Telenovela Rivaldo


mariodonna

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Die Telenovela Rivaldo

Der hochgewachsene, spindeldürre Melancholiker, der sich im dunklen Strassenanzug vor dem Publikum im Stadion San Siro verbeugte, war an einem einzigen Tag um 6 Millionen Euro reicher geworden, aber für Borba Ferreira Rivaldo Vitor, kurz Rivaldo, bedeutete diese noble Abfindung noch nicht den endgültigen Abschied aus Mailand. Denn am Abend kündigte der Milan-Geschäftsführer Adriano Galliani überraschend an, der 31-jährige brasilianische Weltmeister von 2002 und Fussballer des Jahres 1999 werde nun doch noch bis Ende Jahr beim Champions- League-Sieger in Mailand ausharren. Wie in einer Telenovela, den beliebten Endlos-Fernsehserien in seiner Heimat, spielt Rivaldo den unglücklichen, gedemütigten, unverstandenen Helden in diesem Trennungs-Melodrama.

Der Klubboss und Mäzen Silvio Berlusconi hatte den Star vor einem Jahr in einem vermeintlichen Geniestreich ohne Ablösesumme aus den Fesseln des sanierungsbedürftigen FC Barcelona und des systemzwangbesessenen Trainers van Gaal befreit. Doch Milan-Trainer Carlo Ancelotti verwendete Rivaldo nur als Teilzeitarbeiter: 22 Einsätze und 5 Tore in der Serie A, 13 Spiele und 2 Treffer in der Champions League (den Final sah er als Zuschauer) wogen zu wenig gegen ein bleischweres Nettogehalt von 6 Millionen Euro, brutto 12 Millionen. Rivaldo nutzte auch rege das Freiflug-Kontingent, das ihm vertraglich zugesichert war, für Besuche in São Paulo: Er litt nicht nur an Saudade, dem unauslöschlichen Heimweh der Brasilianer, sondern versuchte auch verzweifelt seine Ehe zu retten und seine Frau zur Rückkehr nach Europa zu bewegen. Die Scheidung von seinem Bewunderer Berlusconi begann sich abzuzeichnen, als Milan in einem Blitztransfer zum Saisonstart den zehn Jahre jüngeren Landsmann Ricardo Kakà engagierte, der in einer vergleichbaren Rolle wie Rivaldo spielt und auf Anhieb das Vertrauen Ancelottis gewann.

Kakà widerlegte auch das Klischee, Brasilianer könnten sich in der angeblich «schönsten Liga der Welt», die in Wirklichkeit die härteste ist, nur schwer akklimatisieren. Gerade die AC Milan hat, mit Erfolg, eine kleine brasilianische Kolonie integriert: Torhüter Dida, Serginho, Cafù (der neu von der AS Roma kam), Kakà und als weiteres portugiesischsprachiges Mitglied Rui Costa, und die ganze Fraktion wird betreut vom früheren Spieler Leonardo, der auch für die Rekrutierung junger brasilianischer Talente verantwortlich ist. Es gibt durchaus die Gegenbeispiele fehlenden Fingerspitzengefühls im Umgang mit brasilianischen Vedetten, auch in Mailand: die Telenovela Ronaldos, die den Inter-Präsidenten Massimo Moratti fünf Jahre Geduld und rund 50 Millionen Franken kostete und deren vorläufiges Happy End dann in Madrid gefeiert wurde. Ronaldo hatte sich mit Inter-Trainer Hector Cuper überworfen. Mit Roberto Carlos, dem spektakulären Aussenverteidiger Reals, war Moratti auf Rat seines damaligen Trainers Roy Hodgson Mitte der neunziger Jahre sehr viel ungnädiger verfahren, weil Carlos angeblich nicht in Mister Roys Konzept passte. Inter verschmäht, nach dem Abgang Ronaldos und dem Verkauf des Argentiniers Crespo, seltsamerweise den 21-jährigen brasilianischen Stürmer Adriano, eine Art Ein-Mann- Kraftwerk, der dem Klub zwar zur Hälfte gehört, der aber an Fiorentina ausgeliehen wurde und jetzt für Parma schon 5 Tore geschossen hat und gemeinsam mit Milans Stürmer Schewtschenko die Liste der Goalgetter anführt.

Auch das vermutlich beste Mittelfeld, das es je gab, das brasilianische Quadrat Cerezo, Falcão, Zico und Junior in der WM-Mannschaft von 1982, landete in Italien. Falco und Cerezo wurden mit der AS Roma Meister, Cerezo später auch mit Sampdoria. Der Paradiesvogel Zico verbrachte drei Jahre im grauen Udine und verliess das Land zwar als Torschützenkönig, aber auch mit einem Berg von Steuerschulden. Junior rackerte sich bei der AC Torino und in Pescara ab. Als Diego Maradona 1990 mit Neapel zum zweiten Mal Meister wurde, hatte er mit den Brasilianern Careca und Alemao hervorragende Nebenleute. Unvergessen sind die Eskapaden von Edmundo, genannt «o Animal», der aus Angst vor einer Gefängnisstrafe nach Italien zur AC Fiorentina flüchtete, aber pünktlich zum Karneval wieder nach Rio verschwand. Schlagzeilen machte auch Francisco Govinho Lima, der einst im FC Zürich spielte: Am Steuer seines Mercedes rammte er am vergangenen 30. Juli morgens um vier schwer alkoholisiert drei parkierte Fahrzeuge und kam auf dem Dach eines Lieferwagens zum Stehen. Lima bekommt in letzter Zeit als Schwerarbeiter für Regisseur Totti hervorragende Kritiken, auch wieder nach dem 3:0-Sieg der AS Roma gegen Ancona. Die Römer teilen mit Milan und Juventus die Tabellenführung und gelten, weil für sie die Belastung der Euroliga wegfällt, als Titelanwärter.

Rivaldos Zukunft wechselt von Tag zu Tag. Letzten Freitag phantasierte die «Gazzetta dello Sport» auf der Frontseite: «Berlusconi schickt Rivaldo aufs Feld.» Es war der Tag, als sich Milan und der Spieler, dem keine konkreten Angebote vorzuliegen scheinen, jedenfalls nicht auf dem Niveau von 6 Millionen, auf gütliche Trennung einigten. Am Sonntagabend, nach dem eleganten Abschied Rivaldos im San Siro, erklärte Trainer Ancelotti: «Heute, gegen Lecce, hätte ich ihn spielen lassen.» Nein, diese Geschichte darf noch nicht zu Ende sein.

Quelle: NZZ.

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