Seelentherapie im Trümmerfeld


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Aus dem heutigen Kurier:

Im Irak fehlt es noch an den elementaren Dingen des Lebens: Über den Sport versuchen viele Menschen im Krisengebiet, den Weg zurück in die Normalität zu finden

SEELENTHERAPIE IM TRÜMMERFELD

von Erich Vogl

Salim Sinan erinnert sich genau. Es war in Bagdad, am 8. April. Fünf Uhr Nachmittag. „Ich habe gerade geschlafen, als ich durch eine Detonation aus dem Bett geschleudert wurde.“ Salim Sinan hatte Glück. Er überlebte den Bombenangriff der US-Armee mit Schnittverletzungen. Der Nachbar hatte weniger Glück. Sein Haus wurde von der Rakete voll erwischt.

Salims physische Wunden sind verheilt. Er kann wieder Zahnarzt sein. Und wieder Basketball spielen. Für seinen Klub (der heißt Army Klub), für sein Heimatland, den Irak. Letzte Woche gab es den ersten großen Auftritt seit Kriegsende. In Jordanien, beim King-Abdullah-Cup. Der Irak hat von drei Spielen zwei verloren, beide deutlich. „Aber das zählt jetzt nicht“, sagt Sinan, „wichtig ist, dass wir wieder spielen.“

80.000 BÄLLE Der Sport ist in diesen Tagen mehr als nur ein Spiel. Er ist Ablenkung, eine Art Opium für das Volk. Das haben die Befreier bzw. Besatzer rasch erkannt. 80.000 Fußbälle wurden in den Irak geschickt, verteilt an Klubs und Kinder. Ende Juni begaben sich sogar die Amerikaner in aller Freundschaft auf ungewohntes Terrain – eine GI-Auswahl spielte gegen das irakische Team und verlor artig 0:11.

Doch auch an den Grundlagen wird gearbeitet, die Wiederherstellung zahlreicher zerstörter Sportstätten wird zumindest schon laut angedacht. „Die Leute wollen Plätze und Bälle, sie wollen spielen, um ihre Probleme zu vergessen“, sagt Immanuel Baba Dano, ehemaliger irakischer Teamchef, im Interview mit der New York Times.

DER TYRANN Dabei war in der Vergangenheit der Spitzensport ein gefährliches Betätigungsfeld. Udai Hussein, Sohn von Diktator Saddam und Präsident des irakischen Olympischen Komitees sowie des Fußball-Verbandes, führte seit 1984 eine Schreckensherrschaft. Wer die Vorgaben nicht erfüllte, wer also nicht siegte, der musste mit Folter, Gefängnis oder gar Exekution rechnen. Dano: „Die Athleten lebten in steter Angst. Udai hat die Hölle in den Sport gebracht.“

Doch das ist vorbei, seit die Amerikaner da sind und Udai nicht mehr ist. Mittlerweile gibt es ein neues Kabinett, einen neuen Sportminister Ali Faek Al-Ghadban, der sich auch als solcher versteht. Und mittlerweile sind sogar Pferderennen (samt Wetten) wieder erlaubt. Doch gilt es noch die festgefahrenen Strukturen zu verändern, denn viele Funktionäre aus der Saddam-Ära sind auch heute noch im Amt.

Große Hoffnung auf dem Weg zurück zur internationalen Bühne wird in das Zugpferd Fußball gesetzt.

Das irakische Team präsentiert sich zurzeit (unter dem deutschen Trainer Bernd Stange) im Allgäu, besiegte Zweitligist Unterhaching 4:1. Das große Ziel heißt WM 2006. Gelingt das Wunder Qualifikation, dann wird Herr Stange, der zu Kriegsbeginn den Irak vorübergehend verlassen hatte, ein Held sein. Wichtiger aber ist, dass der Irak dann auch für positive Schlagzeilen sorgen wird können. „Ich glaube, dass wir es schaffen können. Aber es ist ein weiter Weg“, sagt Stange.

KATALYSATOR Zu tun gibt es also noch viel, es fehlt an vielem, vor allem aber an elementareren Dingen des Lebens, abseits der Stadien.

Der Sport dient derweil als kleinster gemeinsamer Nenner, als Katalysator eines möglichen neuen Einheitsgedankens, als Stabilisator einer destabilisierten Region. Fußballlehrer Stange: „Sport, und Fußball im Besonderen, ist nach all dem Schrecken die beste Art, internationale Verständigung zu erlangen.“

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