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Hooligans

Sie schienen in der Versenkung verschwunden, nun vergeht kaum ein Wochenende

ohne Meldungen von Ausschreitungen bei Fußballspielen. Droht die Renaissance

der Fußball-Gewalt? Eine Bestandsaufnahme von Ronny Blaschke und Philipp

Köster.

Die Verabredung war generalstabsmäßig geplant. Am Feuersee in der nähe von

Murr im Kreis Ludwigsburg sollte das Treffen westdeutscher und ostdeutscher

Hooligans am Tag der deutschen Einheit Stattfinden. Und damit Freund und

Feind nicht verwechselt werden, hatten die Kontaktleute verabredet, dass die

Gruppe aus Stuttgart und Umgebung rote Trikots tragen sollte, die Gegner aus

Sachsen hingegen weiße Shirts. Der Plan funktionierte, im Wald unweit des

Sees trafen sich beide Gruppen und schlugen mit Fäusten aufeinander ein,

Waffen wurden keine benutzt. Nach etwa fünfzehn Minuten brachen die Männer

ihren Kampf ab, kehrten zu ihren Autos zurück und fuhren davon. Bei der

Abfahrt wurden die Männer von herbeigerufenen Streifenwagen kontrolliert, es

handelte sich überwiegend über bereits aktenkundige Hooligans aus Stuttgart,

Zwickau, Chemnitz und Gera.

Nur ein Tag zuvor hatten sich im Essener Georg-Melches-Stadion Anhänger von

Rot-Weiß Essen und Eintracht Frankfurt nach dem Abpfiff der Zweitligapartie

eine wüste Schlacht geliefert. Nach gegenseitigen Anfeindungen ging es

hinter dem Gästeblock zur Sache. "Es flogen Stühle, Toilettenschüsseln und

-brillen, Waschbecken, Rohre; Flaschen, Steine und Bierfässer", notierte die

Frankfurter Rundschauakribisch und der langjährige Rotkreuz-Mitarbeiter Hans

Jürgen Löhrmann kommentierte die Schlägereien: Dieses Mal war es ganz

extrem."

Nur zwei Nachrichten aus den letzten Wochen, die Liste der Vorfälle ließe

sich beinahebeliebig fortsetzen. In Dresden attackierten Hooligan -Horden

die angereisten Anhänger des Karls- roher SC, Bayern-Fans randalierten in

Düsseldorf, in Münster bewarfen Preußen-Anhänger den Mannschaftsbus der

Kölner Amateure mit Steinen, beim A-Jugend-Kick zwischen Schalke und

Dortmund droschen Anhänger beider Seiten ebenfalls mit Fäusten aufeinander

ein. Dennoch markieren die Ereignisse in Murr und in Essen besonders

eindrücklich den Status Quo der deutschen Krawall-Szene, sie zeigen die

ganzunterschiedlichen Strategien der Hooligans, sich der Bewachung durch die

Polizei zu entziehen: die Flucht auf abgelegene Kampfplätze einerseits,

spontane Krawalle ohne strategische Planung andererseits,

Etwa ein Prozent aller Fans sucht beim Fußball die Gewalt

Ein Rückblick: Ohne Zweifel sind die Hooligans in den letzten zehn Jahren

sehr wirksam aus den Fußballstadien vertrieben worden. Eine perfektionierte

Überwachung der Stadien durch Kameras, eine strikte Trennung von Heim- und

Gästefans, der verstärkte Einsatz szenekundiger Beamter und der freizügige

Einsatz langjähriger Stadionverbote auch schon bei kleinen Delikten haben

zumindest in den modernen Arenen der 1, Bundesliga dazu geführt, dass Bilder

von Blockstürmungen und Massenschlägereien auf den Rängen sehr selten

geworden sind. Die offiziellen Statistiken sprechen daher auch eine

deutliche Sprache: „Der Hooliganismus ist ein Auslaufmodell, er hat sich

überholt" , sagt der renommierte Fanforscher Gunter A. Pilz von der

Universität Hannover;

Die Faktenstützen Pilz: Zumindest in den Bundesligastadien werden die

gewaltsuchenden Fans der Kategorie C nur noch sehr selten auffällig. Pilz

schätzt die Anzahl der Hooligans in Deutschland inzwischen auf unter 3000,

in den neunziger Jahren bezifferte er sie noch auf 4000 bis 6000. Etwa ein

Prozent aller deutschen Fans sucht beim Fußball die Gewalt. Neun Prozent,

die Fans der Kategorie B, nehmen sie in Kauf. Der Groß- teil, die A-Fans,

konzentriert sich ausschließlich auf den Fuß'- ball. Größere Probleme gibt

es derzeit noch in den neuen Bundesländern. Hierbei handelt sich allerdings

nicht um typische Hooligans! sondern um eine Mischung von Rechtsradikalen

und Verlierern der Nachwendezeit, die in gewaltsamen Auftritten nach

Selbstbewusstsein fahnden. II Wir haben das Problem in den Griff bekommen,

weil wir effektiver arbeiten", sagt Andreas Morbach, stellvertretender

Leiter der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze. Die ZIS, dem

Landeskriminalamt Düsseldorf angegliedert, gegründet 1992, hat mit ihren

zehn Mitarbeitern in der Polizeiarbeit hierzulande die Kommunikation

verbessert und bürokratische Umwege verkürzt. So sind die bundesweit 1,1

Millionen Einsatzstunden der Polizei von 1991/92 gegenüber der vergangenen

Saison um etwa ein Drittel gesunken.

Das Problem In den Griff bekommen? Die Meldungen aus Murr, aus Dortmund, aus

Dresden und aus Essen stehen in merkwürdigem Kontrast Zu den Statistiken.

Denn offenbar sind die Hooligan -Gruppen keineswegs in Auflösung begriffen.

Kein Verein zeigt das Wiedererstarken so deutlich wie Dynamo Dresden, Viele

Wortführer aus der Regionalliga Nord freuten sich am Ende der letzten Saison

über den Aufstieg des 1. FC Dynamo in die Zweite Liga, wussten sie doch,

dass sie in dieser Saison ein gefährliches Heimspiel weniger zu erleiden

haben. 150 Gewaltbereite suchen in Dresden regelmäßig nach Konfrontation,

der wohl höchste Wert in Deutschland. Warum? Nach einem jahrzehnt der

sportlichen Tristesse, einem Lizenzentzug und wirtschaftlichen Turbulensen

hat sich bei den Anhängern ein " Bewusstsein der Benachteiligung"

entwickelt, erklärt Bernd Pätzol?, Einsatzleiter des Polizeipräsidiums

Dresden, ohne das als Entschuldigung gelten zu lassen. Viele Fans haben das

Gefühl, nicht gewollt zusein, ihren Frust äußern sie oft in Krawallen. Vor

zwei Jahren lieferten sich 1500 Rowdys nach dem Derby gegen den Dresdner SC

eine Straßenschlacht mit der Polizei, in der 40 Beamte verletzt wurden, In

dieser Spielzeit, nach dem Pokalspiel gegen den Karlsruher SC, griffen

Hooligans, die sich den gelb-schwarzen Schutzmantel überstülpen, die

Gästefans an. Der Verein will dies nicht länger dulden. Vereinspräsident

Jochen Rudi kündigt an: 11 Wir haben nach dem KSC-Spiel elf, zwölf Fotos

veröffentlicht. Diese Leute werden gesucht und gefunden. Sie werden des

Stadions verwiesen und bekommen entsprechende Anzeigen. Und wir wollen noch

weitergehen und sagen: Sie dürfen sich am Spieltag im Umkreis von einer

bestimmten Kilometerzahl nicht dem Rudolf-Harbig-Stadion nähern. Wir lassen

uns unseren Ruf nicht von ein paar Chaoten kaputtmachen." Etwa 200

Stadionverbote wurden bereits verhängt, seit dem vergangenen Jahr leistet

sich der Verein für 20000 Euro im Jahr ein Fanprojekt. Hinzu kommt laut

Dynamo Geschäftsführer Volkmar Köster pro Heimspiel einen hoher

sechsstelliger Betrag" für den Sicherheitsdienst. Aus Angst vor

Ausschreitungen hatte er 80 professionelle Ordner vor einigen Wochen nach

Cottbus geschickt. In der Lausitz wurde mit über

1000 Beamten der größte Polizeieinsatz organisiert, den Brandenburg je

erlebt hat. Ein Superlativ, auf den Dynamo alles andere als stolz ist. Die

Jugend der an den Dresdner Krawallen beteiligten Hooligans verdeutlicht

zudem, dass nach Jahren der Stagnation, in denen die Ultra-Bewegung den

Nachwuchs nahezu vollständig rekrutiert hat, eine neue Generation von

Hooligans herangewachsen ist.

Zwischen 15 und 30 Jahren ist die Mehrheit der Hooligans

Hooligans wie Ralf Böttcher. Auf den ersten Blick sieht man Böttcher nicht

an, was er in seiner Freizeit treibt. Seinen richtigen Namen möchte er nicht

nennen, wie die meisten seiner Kollegen. Ralf Böttcher ist gerne Hooligan,

er lebt in Berlin und ist Fan vom BFC Dynamo. Nur Dynamo Dresden und Hansa

Rostock scharen in den neuen Bundesländern ähnlich berüchtigte Gruppierungen

um sich. Ralf Böttcher ist 24 Jahre alt, ein redseliger, freundlicher Typ,

kein von Muskeln aufgeblähter Haudrauf. Sein Gesicht wird nicht permanent

von finsteren Blicken gefangen genommen. Zwischen 15 und 30 Jahren sei die

Mehrheit der Hooligans alt, das besagen Statistiken der Polizei. Neben

Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren, die oft aus sozial

benachteiligten Schichten stammen, haben sich die "Alt-Hools"

herausgebildet. Sie sind zwischen 18 und teilweise über 40 Jahre alt, kommen

auch aus Mittel- und Oberschichten, haben Beruf Und Familie.

Ralf Böttcher ist ein erfolgreicher Kickboxer, er hat schon viele

Meisterschaften gewonnen. Ein Trainer aus Berlin hat ihn vor einigen Jahren

zu einem Hooligan Treffen begleitet. Er sollte abgehärtet werden für die

Kämpfe zwischen den Seilen, eine Feuertaufe der besonderen Art. Dass der

Großteil der C-Fans aus zerrütteten Familien stammt, rechtsradikal ist und

sich von der Gesellschaft benachteiligt fühlt, sei ein Klischee. "Ich wurde

nie geschlagen von meinen Eltern, ich hatte eine schöne Kindheit" , sagt

Ralf Böttcher. Er hat einen gutbezahlten Beruf. Natürlich seien einige ohne

Job und artikulieren ihren Frust über die Gewalt. Etwa zehn Prozent aller

Hooligans seien arbeitslos, so schätzen Polizei und Wissenschaftler, gerade

in den neuen, strukturschwachen Ländern, doch es gibt auch Ärzte, Anwälte

und Ingenieure, die dem "Sport der geballten Fäuste" nach- gehen, sogar

Polizisten und Bundeswehr Soldaten beteiligen sich an den Schlägereien. Zehn

Prozent der C" Fans haben Abitur, 45 verfügen über die mittlere Reife, 35

über einen Haupt-

Schulabschluss, die restlichen zehn Prozent haben die Schule vorzeitig

verlassen.

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Es sei der Adrenalin-Stoß, der Hooligans reizt, die Gewalt als

Droge.

Die Schlägereien der neuen Generation finden im Wald statt

Ralf Böttcher beschreibt es so: "Das ist wie eine neue Liebe. Wenn man im

Bauch ein Kribbeln verspürt und die innere Stim - me sagt: Es ist unmöglich,

diese Frau anziehend zu finden. Doch das Kribbeln setzt sich durch. Immer.

Man braucht es, auch wenn man sich dagegen sträubt." Der amerikanische

Journalist Bill Buford, der über mehrere Jahre Hooligans begleitete, stellte

bei den Gewalttätern sogar die" Erfahrung absoluten Erfüllt seins" fest.

Die Suche nachdem ultimativen Kick, nach dem Adrenalin- Stoß ist dann auch

die Klammer zwischen den alten und jungen Hooligans. Und doch haben sich die

Akzente merklich verschoben. Denn was einst als heroischer Auftritt

schlechthin galt, die gegnerischen Fans aus ihrer Kurve zu vertreiben, vor

den Augen vieler Tausender Zuschauer Stärke, Entschlossenheit und Kampfkraft

zu demonstrieren, ist heute längst nicht mehr das Maß aller Dinge. Ralf

Böttcher sieht das ohnehin ganz nüchtern. Über Hooliganismus sei ein Sport,

ein Mannschaftssport. In Stadien schlägt er sich nie, zu groß ist die

Polizeipräsenz, zu intensiv werden die Tribünen von modernen Kameras

ausgeleuchtet. Die Schlägereien, an denen er sich beteiligt, finden im Wald

statt, auf Wiesen, auf Feldern, fern ab großer Menschen an Sammlungen. "Wir

wollen keine Unschuldigen treffen" , sagt Ralf Böttcher. Er verurteilt

Affekthandlungen. So wie es 1998 in Lens geschehen war; als der Polizist

****** Nivel während der WM in Frankreich von deutschen Fans zum Invaliden

geschlagen wurde. "Das waren besoffene Idioten, Fans der Kategorie B, die

stupide alles kaputtschlagen. Die schädigen unseren Ruf. Wahre

Hooligan-Treffen haben Struktur, sie werden professionell organisiert, ohne

Alkohol, Drogen und Waffen", erklärt Ralf Böttcher, "50 gegen 50 zum

Beispiel. Wer unten liegt, wird in Ruhe gelassen." Dem Fußball wird dabei

nur eine Neben- rolle zugebilligt, er dient als Plattform, die Vereine

müssen als Unterscheidungsmerkmal für die rivalisierenden Gruppen her-

halten. Manchmal werden sie von Polizisten beobachtet: " Die stehen auf

einem Berg, schauen zu und lassen uns in Ruhe. Sie wissen, dass die Gewalt

unter uns bleibt.!'

Diese neue Variante der Gewalt wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wieviel

haben die Schlägereien der Jugendgangs noch mit dem Fußball zu tun?

Sicherwaren auch früher viele Hooligans mehr am eigenen Faustkampf im

Stadtpark interessiert als am Ausgang des Spiels im Stadion. Nicht zufällig

verschwanden die Straßenkämpfer oftmals schon eine Viertelstunde vor dem

Abpfiff oder warteten auch zwanzig Minuten nach dem Anpfiff des Spiels noch

vor den Stadiontoren auf gegnerische Anhänger. Und natürlich war der Fußball

schon damals oft nur noch eine windelweiche Begründung für die Lust an der

Gewalt. Die Verlagerung der Städtekämpfe auf abgelegene Wiesen jedoch hat

eine neue Qualität. Sie kappt endgültig die ohnehin weit hergeholte

Verbindung zwischen Vereinstreue und Schlägerei, entlarvt die Gewalt noch

deutlicher als Selbstzweck.

Fußball war schon früher eine laue Begründung für die? Gewalt

Den Funktionären ist diese Verlagerung nicht wirklich unlieb. Weit

verbreitet ist in den Vereinen die Ansicht, dass Hooligans, die sich weitab

der Stadien prügeln, zumindest keine Unbeteiligten gefährden. Dynamo

Dresdens Präsident Jochen Rudi formuliert das so: "Ein Hooligan hat mal zu

mir gesagt: ,Wenn wir am Samstaghingehen, wollen wir irgendeinem auf die

Nase hauen. Und wir machen das ja nicht im Stadion. Wenn das Spiel fertig

ist treffen, wir uns im Großen Garten, tragen das aus und wenn einer am

Boden liegt, dann war es das. Der Stärkere hat gewonnen.' Das kann ich zwar

nicht verstehen, aber wenn sie das drüben im Großen Garten machen und sich

dort freiwillig treffen, kann man ja nicht mal was dagegen haben - so

idiotisch das auch ist. "Und auch den normalen Stadionbesuchern könnten die

Ausweichstrategien der Hooligans durchaus recht sein. Schließlich waren die

Krawalle das beste Argument der Stadionbetreiber und Polizei, die Stadien in

Hochsicherheitstrakte umzuwandeln und die Bewegungsfreiheit der Fans stark

einzuschränken. Doch in letzter Zeit mehren sich auch im Stadionumfeld

wieder die Ausschreitungen, in verschiedenen Städten ist der An- und

Abmarsch zum Stadion wieder problematischer geworden. Die Krawalle in Essen

zeigen in aller Deutlichkeit, dass auch im Westen der Republik die Fanszenen

keineswegs befriedet worden sind,

So weit, so ernüchternd. Die wirklichen Probleme könnten der Polizei und den

Vereinen allerdings erst ins Haus stehen. Angesichts des vorhandenen

Gewaltpotentials in den Fankurven erscheint nämlich die Renaissance der

Hooligan-Kultur nicht so abwegig, wie sie gerne dargestellt wird. Denn wer

den Aufstieg der Ultra-Gruppen als eine Art Endpunkt in der Entwicklung der

Fanblöcke sieht, ignoriert die Tatsache, dass es die Kurven im Laufe der

fahrzehnte immer wieder verstanden haben, sich gänzlich neu zu erfinden. Die

entschiedene Frage der nächsten Jahre wird daher sein: Wie lange wird das

ultra- Credo von der ausschließlich optischen und akustischen Anfeuerung die

Bedürfnisse der nachwachsenden Generation nach Action und Selbstinszenierung

noch befriedigen können ? Schon jetzt gibt es Anzeichen, dass sich die

Grenzen zwischen Ultras und Hooligans demnächst noch stärker verwischen

könnten. Nur ein Indiz für neue Formen der Auseinandersetzung ist die

wiederentdeckte Mode des Fahnenklaus. Lange aus der Mode, werden seit kurzem

wieder verstärkt die Fahnen gegnerischer Gruppen vom Zaun gerissen oder im

Faustkampf erbeutet, um sie anschließend stolz im eigenen Block zu

präsentieren. Akteure sind meist jüngere Fans mit dem Interesse, sich in der

Szene einen Namen zu machen. Die Vermutung liegt nahe, dass künftig auch

weitere Grenzen überschritten werden könnten.

Das Paradoxe: Die in den Stadien installierte vollständige Überwachung der

Fans, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die zweifellos zur

Verdrängung der Gewalt aus den Stadien beigetragen hat, könnte die

Wiedergeburt der Gangkultur in den Stadien entscheidend fördern. So wird in

den einschlägigen Ultra-Foren schon seit längerer Zeit darüber diskutiert,

ob in Zukunft Widerstand gegen Polizisten geleistet wird, die versuchen,

Anhänger im Block zu verhaften. Deutlich schimmert hier das ohnehin oft

bemühte italienische Vorbild durch. Dort gelten nicht wenige Fankurven bis

hinunter in die zweite und dritte Liga inzwischen als weitgehend

rechtsfreier Raum, in denen Polizisten keine Autorität besitzen und die

allein durch die Ultras kontrolliert werden.

Solche und ähnliche Diskussionen werden auch im WM-Organisationskomitee 2006

und in den zuständigen Polizeibehörden genau beobachtet. Und natürlich

existieren längst ausführliche Exposes und Sicherheitskonzepte. Denn zu den

Albträumen von Politik und OK gehört die Vorstellung, das größte

Sportereignis dieses Jahrzehnts in Deutschland könnte durch Ausschreitungen

in deutschen Städten und Stadien überschattet werden. Mit aller Macht sollen

Szenen wie in Mailand 1990, als deutsche Hooligans die Innenstadt

verwüsteten oder 2000, als sich deutsche und englische Schläger auf dem

Markt- platz von Charleroi Plastiksitze an die Köpfe warfen, verhindert

werden.

Ein "Nationales Sicherheitskonzept" soll deshalb alle Eventualitäten

berücksichtigen. "Es wird die Sicherheit des Öffentlichen Personenverkehrs

ebenso wie den Schutz vor anlassbezogener Kriminalität gewährleisten " ,

teilte Innenminister Otto Schily im September mit. Natürlich wolle man sich

!,freundlich und weltoffen" präsentieren, "aber ,safety first' ist natürlich

die oberste Maxime für alle Sicherheitsbehörden in Bund und Länder"

.Äußerungen, die Fanvertreter skeptisch registriert haben, steht doch zu

befürchten, dass die Abwehrmaßnahmen gegen Hooligans auch und vor allem die

ganz normalen Fußballfans treffen werden. Angesichts der drohenden

überbordenden Polizeipräsenz während der Weltmeisterschaft fragte das St.

Pauli- Fanzine !1 Übersteiger" in Anspielung auf die baldige Präsentation

des WM-Maskottchen bei Thomas Gottschalk: !1 Wetten, dass... das neue

WM-Maskottchen , Bulli' heißt?", garniert mit der Zeichnung eines Knüppel

schwingenden Polizisten.

Und in der Tat lassen die Planungen vermuten, dass die W M 2006 trotz aller

Kosmetik die Rechte der Anhänger stärker ein- schränken könnte als alle

Turniere zuvor. So kursieren in mehreren Ländern, etwa in Hamburg,

Gesetzesvorschläge, die es ermöglichen würden, Fußballfans schon beim bloßen

Verdacht, er könne eine Straftat begehen, vorbeugend in Gewahrsam zu nehmen.

Auch Aufenthalts verbote sollen künftig leichter ausgesprochen werden können

als bislang.

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Treffen solche Maßnahmen ausnahmslos alle Fußballfans, so ist die

Wirksamkeit anderer Aktivitäten umstritten. So ruhen viele Hoffnungen der

Organisatoren auf dem gänzlich neuentwickelten Ticketsystem, das die

herkömmliche Papierkarte durch eine personalisierte Chipkarte ersetzt, die

beim Betreten des Stadions durch ein Lesegerät erkannt wird. Entwickler

Klaus- Peter Schulenberg ist sich sicher: "Hooligans und andere einschlägige

Rowdys werden keinen Zutritt haben.' Viel Optimismus, dem Erfahrungen bei

den letzten großen Turnieren entgegen- stehen. Personalisiert waren die

Karten schließlich schon bei der Weltmeisterschaft 1998, überprüft wurde an

den Stadionkassen jedoch nur eine verschwindende Minderheit. Die

Zuschauerzahl von mindestens 50000 Personen ließ eine Einzelprüfung nicht

zu.

"Die W M 2006 in Deutschland wird krass, sehr krass"

Ralf Böttcher freut sich auf das Jahr 2006. Es ist nicht nur das Jahr der

Fußball-WM in Deutschland, es sei auch das Jahr der Hooligan-WM. " Das wird

krass, sehr krass“, sagt er. Er will keine Angstverbreiten. Sie wollen sich

wieder abseits der Stadien treffen, Deutsche gegen Engländer, Deutsche gegen

Holländer. "Nicht Verein gegen Verein, sondern Land gegen Land.“ Ralf

Böttcher hat bewusst auf die EM in Portugal verzichtet. Er will nicht mehr

auffallen, wie die meisten Hooligans, auch aus anderen Nationen. Die

Polizeipräsenz hat stark zugenommen. Allein in Deutschland wurden seit 1994

über 2200 Stadionverbote verhängt. Der Ausnahme zustand ist schon lange kein

Normalzustand mehr. In Portugal wurden hundert Hooligans fest- genommen,

vier Jahre zuvor waren es noch 1000. Früher hat sich Ralf Böttcher im

Zwei-Wochen-Rhythmus mit anderen Schlägern getroffen, inzwischen beschränkt

er sich auf das Nötigste. Ob man gewaltsuchende Fans 2006 wirklich aufhalten

kann? "Einschränken ja. Aufhalten nein. Dafür wird es zu viele Treffs geben.

Hooliganismus hat in Deutschland Tradition. Aber in den Stadien wird es

friedlich sein. Darauf wird die Polizei schon achten.“~

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