Gigi www.mspeu.at Beitrag melden Geschrieben 17. Februar 2004 Die Marke Collina Die Europameisterschaft in Portugal soll sein letzter großer Höhepunkt werden. Im nächsten Jahr wird Pierluigi Collina (44) seine internationale Karriere wohl beenden, die Altersgrenze naht. Der Italiener ist seit Jahren die schillerndste Figur in der Schiedsrichterszene. Er sammelt Titel wie Werbeverträge, hat es längst zum Millionär gebracht. Halbzeit in Foggia. Die Fans warten sehnsüchtig auf die Rückkehr der beiden Mannschaften. Vor allem die der Gastgeber. Sie haben sich mit Wurfgeschossen eingedeckt. Und nichts Gutes im Sinn. Wenn gleich der Torwart des ungeliebten AS Bari zu ihnen kommt, wollen sie ihn auf ihre Art begrüßen. Mit eben jenen Wurfgeschossen. Da kommen die Teams. Doch was ist das? Nicht Baris Keeper, sondern Foggias geht in seine Fankurve. Wie schon in der ersten Hälfte. Der Seitenwechsel bleibt aus. Weil der Schiedsrichter es so angeordnet hat. Ein Regelverstoß? Sicher. Ein Skandal? Nein. Wer glaubt, die strenge FIFA oder der italienische Fußballverband werden den eigenwilligen Unparteiischen hinterher bestrafen, der täuscht sich. Lob erntet er, keinen Tadel. Der Mann, der an diesem Tag die Regeln selbst in die Hand nimmt, um Ausschreitungen zu verhindern, ist Pierluigi Collina. Der mit der Glatze. Der mit den markanten Stirnfalten. Mit den himmelblauen Glupschaugen, die so blitzartig hervorstechen können. Und dem Blick, der beim Stierkampf sogar den wildesten Bullen aus der Arena vertreiben würde. Pierluigi Collina eben. Auf dem Platz ist er das Gesetz. Es sind wohl solche Geschichten, die Collina zu dem haben werden lassen, was er heute ist. Eine "Kultfigur" (Stern), ein "Weltstar" (WamS), eine "Lichtgestalt" (FAZ) - kurzum: der beste Unparteiische dieses Planeten. Sechs Mal in Folge ist er zum Welt-Schiedsrichter des Jahres gewählt worden - Rekord. Der Mann hat eine eigene Homepage (www.pierluigicollina.it), sein Buch ("Meine Regeln des Spiels") gibt es sogar auf Finnisch. Er ist schon vom Papst persönlich empfangen worden, dreht mit Beckham, Raul und Zidane Werbespots und kassiert allein dafür im Jahr locker-lässig 500 000 Euro. Wie kein anderer seiner Zunft hat es Collina verstanden, sich selbst zu inszenieren. In Japan ist er auf Plakaten zu sehen, in seiner Hand ein asiatisches Fischgericht aus der Tiefkühltruhe. Eine Uhrenmarke setzte Topmodel Laetitia Casta (die aus dem Asterix-Film) ab, jetzt wirbt Collina für sie. Auf dem Laufsteg bewegt er sich genauso sicher wie auf dem Fußballplatz, wenn er die schicksten Anzüge trägt. Ruhm, Titel und Geld hat dieser exzentrische Kerl geerntet. Die Marke Collina. Begonnen hat alles an einem Samstag. Am 13. Februar 1960 wird Pierluigi als einziger Sohn des Regierungsangestellten Elia und der Grundschullehrerin Luciana in Bologna geboren. Er spielt Fußball, klar doch, verehrt als Libero Franz Beckenbauer und fliegt mehrere Male wegen eines Fouls zu viel vom Platz. Einen Lieblingsverein hat er nie, zumindest im Fußball nicht. Die Basketballer von Fortitudo Bologna, die findet er richtig klasse. Mit 17 überredet ihn Fausto, ein Schulfreund, doch bittebitte mit zum Schirilehrgang zu kommen. Schon vorher hatte Klein-Pierluigi mal ins Pfeifchen getrötet, im Training seines Jugendteams Pallavicini, als er verletzt war. Aber "erst Fausto hat mein Talent erkannt", sagt er heute. Er begleitet ihn - ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass eine Starkarriere draus werden könnte. Fausto muss sowieso gleich passen, seine Augen sehen nicht gut genug. Pierluigi geht lieber studieren, promoviert als Doktor der Handelswissenschaften und ist noch heute Finanzberater in Vareggio, einem Badeort in der Toskana, wo seine Frau Gianna ein florierendes Schmuckgeschäft besitzt und die beiden mit den Töchterchen Francesca Romana und Carolina leben. Der Schiedsrichterei bleibt Collina zunächst nur nebenbei treu. "Ich pfiff in Orten, die auf der Landkarte nur schwer zu finden waren", erzählt er. Aber sein Talent und sein immenser Ehrgeiz bringen ihn Stück für Stück nach oben, bis in die Serie A, 1991 feiert er Premiere. 1995 wird er FIFA-Schiedsrichter, ein Jahr später darf er in Rotterdam sein erstes Länderspiel pfeifen, Holland gegen Deutschland (0:1), der Klassiker. Der DFB lässt sich zum Debüt extra etwas einfallen. Und schenkt Collina was? Genau, einen Föhn. Der Glückliche geht seinen Weg derweil unbeirrt weiter, schafft es bis zum Olympia-Finale (1996), zum Endspiel der Champions League (1999), ja, bis zum WM-Finale (2002). Höher geht's nimmer. Wie aber wird man der beste Schiedsrichter der Welt? Klar doch, in dem man so wenig Fehler wie möglich macht. Auch Collina ist nicht frei davon: "Jeder macht Fehler." Die Kunst sei es, damit umzugehen, sich nie unterkriegen zu lassen. Denn eins sei klar: "Ein unberechtigter Pfiff hat für viele unangenehme Folgen. Aber es gibt Fehler, die weitaus mehr Schaden anrichten, als die eines Schiedsrichters. Zum Beispiel die falsche Schule für seine Kinder auszusuchen." Seine Francesca hat er in einer Nonnenschule eingeschrieben. Auf dem Feld wäre er am liebsten eine Fliege, hat Collina mal gesagt. Der Mensch kann nur eingeschränkt sehen. Die Fliege dagegen kann nach hinten schauen, nach vorn, zur Seite, hat alles gleichzeitig im Blick. "So würde ich den ganzen Platz kontrollieren", schwärmt Collina, "ich wäre besser als das Fernsehen mit seinen 20 Kameras. Das wär's." Der Haken: In der Realität läuft's anders. Fehler passieren nun mal. Und dennoch hat es Collina zu Ruhm gebracht. Weil er eben doch sehr, sehr oft richtig liegt - und wegen dieser Geschichten. Wie die aus Foggia. Oder die nach dem WM-Finale 2002, als der Italiener "ein großes Bedürfnis" verspürt, spontan nach dem Abpfiff zu Oliver Kahn zu gehen und ihn zu trösten. Kahns Fehler hat Brasilien soeben zum Weltmeister gekürt. "Ich weiß, wie einsam er sich gefühlt hat", betont Collina. Beim Torwart ist das wie beim Schiri: Macht er seine Sache gut, gilt das als normal. Macht er einen Fehler, ist er der Idiot. Und weil Collina alles andere als ein Idiot ist, lässt er sich nichts gefallen. Auf dem Platz ist er das Gesetz. Noch so eine Geschichte: Einmal rasselt er mit Pierluigi Casiraghi zusammen. Collina pfeift gegen den Nationalspieler von Lazio Rom, das lässt sich der bullige Stürmer nicht bieten und baut sich provozierend vor dem Schiedsrichter auf. Beide schreien sich wild an - ein Bild, das am Tag darauf in jeder Gazzette zu sehen ist. "Ich erschrecke manchmal selbst, wenn ich mich später so sehe", gibt Collina zu. So ist er nun mal: impulsiv, manchmal theatralisch, aber immer korrekt. Vielleicht findet er deshalb ein paar Tage später in seinem Briefkasten eine Postkarte mit dem Foto drauf. Und darunter diesem Text: "Auch wenn das Bild etwas anderes ausdrückt, mein Respekt und meine Sympathie für dich bleiben immer bestehen - Casiraghi." (kicker.de) 0 Zitieren Diesen Beitrag teilen Link zum Beitrag Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Recommended Posts
Join the conversation
You can post now and register later. If you have an account, sign in now to post with your account.