"Rennen, bis sie tot umfallen"


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Der Deutsche Joachim Löw darf/muss den hohen Meisterschaftsfavoriten, die Wiener Austria, trainieren. Mit Christian Hackl sprach er über die zu lösenden Probleme, über eine dringend notwendige Imagekorrektur und über die Kommunikationsformen im Fußball.

Standard: Ihrem Vorgänger Christoph Daum war ein gewisser Hang zur Selbstdarstellung nicht abzusprechen. Wie legen Sie den Trainerjob an?

Löw: Ein Trainer ist Ausbilder, Ansprechpartner und Öffentlichkeitsarbeiter. Er ist Teil eines Teams, der Einzelne darf kein Star sein. Natürlich bin ich der Chef, der die Richtlinien vorgibt. Aber innerhalb dieser Vorgaben gibt es Kommunikation und Diskussion. Ich muss mich nicht in den Mittelpunkt stellen, ich bin Teil der Gruppe. Natürlich ist Fußball auch abseits vom Stadion Show, David Beckhams Frisuren sind ein Thema. Bei mir ist Privates ein Tabu, die Show ist das Match, der Sport.

STANDARD: Sie sind seit 1990 der 19. Austria-Trainer, offensichtlich setzt dieser Klub nicht auf Kontinuität. Beunruhigt Sie das? Sind Sie Bezieher von Schmerzensgeld?

Löw: Man macht sich Gedanken über diesen enormen Verschleiß. Es beunruhigt aber nicht, weil ich von meiner Arbeit überzeugt bin. Schon bei den Vertragsgesprächen habe ich versucht zu erklären, dass der Erfolg im Fußball planbar ist. Mit einem klaren Konzept, mit einem roten Faden, der schon weit vor der Kampfmannschaft seinen Ursprung haben muss. Die häufigen Wechsel waren nicht gut fürs Image der Austria.

STANDARD: Frank Stronach hat mit der Austria Visionen, die mehr oder weniger belächelt werden. Kritiker sprechen von einer sinnlosen Geldvernichtung und davon, dass dieses Projekt dem österreichischen Fußball nicht weiterhilft. Können Sie die Skeptiker vom Gegenteil überzeugen?

Löw: Man liest von Fluch oder Segen, für mich ist Stronach ein Glücksfall. Die Nachwuchsakademie ist einmalig. Österreich braucht einen Verein, der sich international etablieren kann. Im Hinblick auf die EM 2008. Natürlich haben andere Klubs andere Philosophien und weniger Möglichkeiten, diese Unterschiede gibt es in jedem Land. Stuttgart sagt, wir wollen mit jungen Spielern arbeiten, Bayern München will die Champions League gewinnen. Beides macht Sinn. Abgesehen davon hilft Stronach als Ligapräsident auch anderen.

STANDARD: Trotzdem, wenn die Austria das vierfache Budget der Konkurrenten hat, ist das doch eine Form von Wettbewerbsverzerrung.

Löw: Tirol und Sturm waren vor ein paar Jahren auch in einem anderen Bereich. Die Austria ist vernünftiger geworden, es wird keine Ausschweifungen geben. Die Topspieler sind bei uns auf einem Level, es gibt keine Unterschiede in den Bezügen, das wäre nicht förderlich für die Gruppendynamik. Es gab keine langen Verhandlungen, Angebote wurden vorgelegt, die Spieler konnten Ja oder Nein sagen. Die Austria zahlt keine Ablösen, 50 Prozent des Gehalts sind garantiert, die anderen 50 sind leistungsbezogen. In der Vergangenheit wurde zu viel bezahlt. Gibt man einem Kicker das Dreifache, kann er auch nicht mehr.

STANDARD: Woran krankt der österreichische Fußball? Daum kritisierte die Freunderlwirtschaft, den gewissen Hang zur Mittelmäßigkeit.

Löw: Krankheiten haben nichts mit der Größe eines Landes zu tun. In Österreich wird halt toll Ski gefahren. Entscheidend ist die optimale Jugendausbildung. Und die ist überall möglich. Da muss man ansetzen, in unsere Akademie gehen Leute zwischen 14 und 18. Das ist fast schon zu spät. Was geschieht mit den Achtjährigen? Die Erfahrung mit angeblich typischen Klischees habe ich nicht gemacht, in Tirol hatte ich eine unglaublich charakterstarke und zielorientierte Mannschaft vorgefunden. Es gibt immer Leute, die aus der Reihe tanzen, nehmen wir das Beispiel Mario Basler. Überall und nirgendwo gibt es den Hang zur Bequemlichkeit.

STANDARD: Sie sind in der glücklichen Lage, Trainer des Topfavoriten zu sein. Welche Probleme ergeben sich daraus? Wie bringt man Spieler dazu, an die Grenzen zu gehen, obwohl keine Notwendigkeit besteht?

Löw: Das Budget hat nichts mit der Qualität der Mannschaft zu tun. Sicher, wir sind Favorit. 80 Prozent reichen aber nie, die Austria hat daheim gegen Bregenz oder Admira verloren. 100 Prozent sind notwendig. Ich verlange von den Spielern, dass sie auch im Training ans Limit gehen. Ich dulde da keine Nachlässigkeiten. Spaß ja, Freude ja, aber alles zum richtigen Zeitpunkt. Wenn einer nicht mitzieht, kriegt er Probleme.

STANDARD: Geht es nicht nur um die zwei Qualifikationsspiele zur Champions League?

Löw: Nein. Nach zehn Jahren Mittelmaß kann man das nicht so sehen. Alle wollen uns vom Thron stürzen. Jetzt wird sich zeigen, was wir draufhaben. Bayern München ist das Vorbild. Die sind immer vorne dabei, das ist eine Klasseleistung. Es nützt nichts, wenn ich in der Champions League spiele und in der Meisterschaft Vierter werde. Titel daheim sind Berechtigung und Voraussetzung, um irgendwann Größe zu erreichen.

STANDARD: Die Austria hat Routiniers wie Verlaat, Vastic, Kitzbichler oder Dundee verpflichtet. Kann das der Weg zum Ziel sein?

Löw: Die Mischung muss stimmen. Man muss die Persönlichkeit der Spieler miteinbeziehen: Wer kann führen, wer sorgt für Ruhe? Leistung hängt nicht vom Alter ab. Wie hat einer gelebt, wie trainiert er, wie geht er mit seinem Körper um? Das sind die entscheidenden Fragen. Stuttgart war vom 37-jährigen Balakow abhängig.

STANDARD: Die Austria hat ein leichtes Imageproblem. Der Meistertitel wurde nicht unbedingt enthusiastisch gefeiert, er galt als selbstverständlich und nicht als Ergebnis einer Entwicklung. Wie kann man das korrigieren?

Löw: Das ist der allerwichtigste Ansatzpunkt. Das Image ist deshalb schlecht, weil die Austria als Meister nicht über alle Zweifel erhaben war. Der Fan muss das Gefühl haben, dass sie für ihn rennen, bis sie tot umfallen. Die Identifikation soll größer werden. Durch die ständigen Wechsel war das unmöglich. Die Anhänger dachten, die kommen nur nach Favoriten, um abzukassieren. Es stimmte auch, das war unsympathisch. Ich habe klar gesagt, man muss runterkommen vom riesigen Kader, von 27 Feldspielern. Jetzt sind wir 19. Das ist überschaubar.

STANDARD: Wie kommunizieren Sie mit Ihren Spielern?

Löw: Kommunikation heißt, dass ich jedem die Ziele vorgebe. Man muss eine Hierarchie aufbauen. Das ist wie in einer Familie. Jeder braucht seine Aufgabe, jeder seine Pflichten. Jeder ist wichtig. Egoismus ist nicht angebracht, die Mannschaft ist nicht für den Einzelnen da, der Einzelne ist für die Mannschaft verantwortlich.

STANDARD: Wie wichtig war für Sie persönlich die Erfahrung mit dem FC Tirol? Ein Meister, der sich auflöst, ist auch für einen Trainer eine nicht vorhersehbare Entwicklung.

Löw: Diese Erfahrung hätte ich gerne vermieden. Wir wussten über finanzielle Probleme, haben uns aber reingesteigert. Wir wurden ständig angelogen und betrogen, für die gute Arbeit gab es kein Geld. Uns wurden die Füße abgeschlagen. Ich brauchte Monate, um das emotional zu verarbeiten.

STANDARD: Ist die Austria Ihre bisher reizvollste Aufgabe?

Löw: In Stuttgart wurde ich ins kalte Wasser geworfen, dort lernte ich schwimmen. Die Türkei war eine andere Kultur. Hier ist meine Aufgabe, die Mannschaft an der Spitze zu halten und sie deutlich zu verbessern. Das ist spannend.

STANDARD: Ihr Vertrag endet in zwei Jahren. Welches Fazit würden Sie gerne ziehen?

Löw: Es wäre ein Erfolg, wenn der Zuschauer sagt: Die haben echt guten Fußball gespielt.

ZUR PERSON:

Joachim "Jogi" Löw, 43, kickte 52-mal in der Bundesliga (u. a.) Stuttgart, Frankfurt). Von 1996 bis 1998 war er Cheftrainer in Stuttgart. Weitere Stationen: Fenerbahce, Karlsruhe, Adanaspor und bis Sommer 2002 FC Tirol. In Tirol wurde er Meister, in Stuttgart Cupsieger.

Quelle: (DER STANDARD, Printausgabe 14. 07. 2003)

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