Livorno


Kante

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oi! gorgeous! what's your name?

Sehr interessant, der Bericht, mMn besser als der im ballesterer!

"Silvio, wir kommen!

In der toskanischen Hafenstadt Livorno, wird der Marxismus-Hooliganismus zelebriert

Was Fußball mit Politik zu tun hat? Roberto versteht die Frage nicht: Das kann dir Berlusconi beantworten, der hat doch mit Fußball die Wahlen gewonnen! Der junge Fan mit den langen Bartstoppeln und noch längeren Koteletten tritt gegen eine umgekippte Vespa. Auf seinem Rücken steht: Livorno Ultras, darunter prangt ein roter Stern mit Hammer und Sichel. Der Reißverschluss seines Kapuzenpullovers endet nicht am Hals, sondern erst kurz unter den Augen. Schützen soll das. Nicht vor dem feucht-kalten Wind, der Ende Oktober vom Meer durch die Strassen von Livorno peitscht, sondern vor den Kameras. Wenn es nach dem Spiel Ärger gibt.

Wahrscheinlich war die Frage am Anfang falsch gestellt. Eigentlich müsste sie lauten: Kann Fußball überhaupt unpolitisch sein? In einem Land, in dem die Regierungspartei nach einem Stadion-Schlachtruf benannt ist? Silvio Berlusconi ist Boss von Forza Italia, Ministerpräsident und Alleineigentümer des großen Milan, wie der AC Mailand vor Ort heißt. Das gesamte Privatfernsehen gehört dem Rechtspopulisten auch, er bestimmt, wann die Spiele beginnen. Berlusconi Intimus Gaetano XXX ist Geschäftsführer von Milan und nebenbei Liga-Präsident. An seinen Verband überweißt der Aufsteiger AS Livorno jede Woche einige Tausend Euro Strafe, weil die Anhänger des Vereins in Sprechchören den Regierungschef beleidigen. Die 150000 Einwohner der Hafenstadt wähnen sich kollektiv in einem Asterix-Comic: Ein Despot in Rom kontrolliert den Sport und die Politik. Nur ein kleines toskanisches Dorf hört nicht auf, Widerstand zu leisten.

Die Toskana in Mittelitalien ist die Wiege der italienischen Arbeiterbewegung. Und Livorno ist traditionell die linkeste Stadt der Region. Die roten Fahnen gehören zur Identität der Menschen wie der schwere Punsch in den Bars am Hafen und die inzwischen stillgelegte Werft. Und natürlich die Fußballmannschaft, die in der Vereinsfarbe amaranto aufläuft dunkelrot. Held der Stadt ist Mittelstürmer Cristiano Lucarelli. Der Sohn eines Hafenarbeiters aus dem Arme-Leute-Viertel Shangai, hat sich einen fünfzackigen Stern auf den Unterarm tätowieren lassen. Und in die Mitte das Wappen des AS Livorno. Livorno ist neben Liverpool die einzige Stadt, in der es noch proletarischen Stolz gibt, sagt Roberto von den BAL. Das Kürzel steht für Brigate Autonome Livornesi, die Organisation der Ultras, gegen deren Mitglieder die Staatsanwaltschaft wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

Über 30 Jahre war der AS Livorno in der 3. und 4. Liga gefangen. 2002 kam der Sprung in die zweite Division und zwei Jahre später endlich: Serie A! Seitdem steht am Bahnhof der Stadt: Silvio wir kommen! Im September fuhren einige tausend Fans zum Auswärtsspiel gegen den AC Mailand. Sie setzten sich in das Stadion von San Siro und banden ihre Kopftücher um. Eine Anspielung auf Berlusconi, der sich nach einer Haartransplantation im Juli im Piratenlook gezeigt hatte. Zum ersten Mal in der laufenden Saison ließ sich der Milan-Boss bei einem Heimspiel nicht blicken.

Doch nicht immer bleibt es bei friedlicher Ironie. Im Sommer feierten in Livorno 40 000 den Aufstieg in die höchste Spielklasse. Nachts wurde die regionale Zentrale der rechtsextremen Partei Alleanza Nazionale von rund hundert Vermummten verwüstet und angezündet. Ein Dutzend schwer verletzte Polizisten. Sofort sagen alle: das waren die BAL. Aber wir haben damit nichts zu tun. Irgendwie fällt es schwer, Roberto zu glauben. Vielleicht, weil der Ultra immer noch aufgedreht ist von den ersten Auseinandersetzungen am Samstagmittag. In der Innenstadt sind Flaschen geflogen. Die BAL sind auf die verfrühte Anhänger des AS Rom getroffen. Ausgerechnet der Hauptstadtverein spielt heute in Livorno. Ganz Italien weiß, dass bei den AS-Fans die Neonazis das sagen haben. Fasci di merda, sagt Roberto im breiten Dialekt der Region: Scheißfaschos. Inzwischen ist es halb drei. Er sitzt mit Martino und Ale im 1921. Der Sitz der BAL ist benannt nach dem Jahr, in dem die italienische KP gegründet wurde natürlich in Livorno. Eine Woche nach der eskalierten Aufstiegsfeier haben Sondereinheiten der Carabinieri den Treffpunkt durchsucht. Die sind mit zwei Hubschraubern gekommen.

In ein paar Stunden beginnt das Spiel. Die drei Ultras machen sich auf den Weg zum Stadion. Rein werden sie nicht gehen. Roberto und die anderen gehören zu den über 200 Fans, die Stadionverbot haben. So viele, wie in keiner anderen italienischen Stadt. Ausgesprochen nicht vom Verein, sondern von der Staatsanwaltschaft. Politische Repression, sagen die BAL. Zweimal müssen sie sich während des Spiels auf dem Polizeipräsidium melden. Danach werden sie mit ihren Mopeds Gas geben, um wenigstens die letzten Minuten in der Bar Sirena zu sehen. Vor der Hafenkneipe sammeln sich die Ultras auch vor dem Spiel. Sogar das Meer ist aufgewühlt. Die Wellen sind so hoch, dass die Gischt bis auf die Uferstrasse spritzt. Rund 200 große Jungs warten auf Nachrichten vom Bahnhof. Wir schützen unsere Stadt, sagt Roberto. Und sie haben Lust auf Ärger. Ein Handy klingelt. Melodie: Bella Ciao. Um die Bosse scharen sich kleine Grüppchen. Dicke Oberarme und aggressive Blicke. Nur Kleinigkeiten unterscheiden die BAL von normalen Stadionschlägern. Ibrahim ist eine solche Kleinigkeit. Er kommt aus Nigeria und hat vor vier Jahren in Italien Asyl beantragt. Mit drei Landsmännern steht er mitten in der Meute, um den Hals weiß-rote Schals. Wo sonst in Europa gehören schwarze Flüchtlinge zum harten Kern der Gemeinde der Ultras?

Luca ist einer der Chefs der BAL. Er ist 34 Jahre alt, seit kurzem geschieden und kinderlos. In der Woche arbeitet er am Stadtrand in einer Eisengießerei. Am Wochenende spielt er den linken Bruce Willis. Wir werden verfolgt, weil wir rot sind. Die meisten Geschichten sind aufgebauscht. Was war mit den Schwerverletzten als aus der Fankurve Molotov-Kocktails flogen? Und die zerstörten Autobahnraststätten bei Auswärtsspielen? Einzelfälle. Nach einem Anschlag im irakischen Nassiriya gab es in allen Stadien der Apenninenhalbinsel Schweigeminuten für 17 italienische Soldaten. Die Nordtribüne in Livorno sang: Gebt uns 10, 100, 1000 Nassiriyas. Na und, das waren Besatzungssoldaten, sagt Luca, die 1500 Leute, die jedes Jahr in Italien auf der Arbeit sterben, kriegen auch kein Staatsbegräbnis. Keinen Mensch interessieren die Toten aus der Werft Irgendwann endet in Livorno jede Diskussion bei der Werft. Von der Bar Sirena sieht man den 30 Meter langen Schriftzug zwischen zwei Kränen: Schiffbau Orlando. Veil mehr ist von der Werft auch nicht geblieben. Die Menschen haben alles versucht. Monatelange Streiks, Werksbesetzungen, Arbeiterkooperativen. Am Ende war alles umsonst. Jetzt bauen sie dort ab und zu noch eine Luxusjacht, sagt Luca und spuckt auf den Boden. So geht es in der ganzen Region, die Industrie stirbt. Zurück bleibt Wut, die roten Fahnen aus alten Zeiten und der Fußball.

Das Armando Picchi ist ein Bau aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und fasst 20 000 tausend Menschen. An vielen Stellen bröckelt der Putz und man sieht die Backsteine. Wenig Werbetafeln, viel Graffiti. Ein Fan flucht. Er versucht vergeblich bei dem Sturm einen Joint zu bauen. In der Serie A darf es nur Sitzplätze geben. Nach dem Aufstieg hat man deshalb in Livorno einfach im Abstand von rund 60 Zentimetern Striche auf die Betonstufen gemalt und Nummern daneben geschrieben. Natürlich sitzt niemand. Man erkennt auf den ersten Blick, dass in der Curva-Nord mehr Leute sind als erlaubt. Wer am Einlass dem Ordner eine Karte für einen anderen Block vorzeigt, muss nur kurz warten, um reinzukommen: Warte, bis der Bulle nicht guckt&

Bevor die Squadra Amaranto und der AS Rom auflaufen knackt die Vereinshymne aus den 20er Jahren durch die schwachen Lautsprecher. Danach stimmt das ausverkaufte Stadion bandiera rossa an. Zum ersten Mal singt das Publikum im gesetzten Alter auf den Geraden genauso laut wie die Fankurve. Der Gästeblock lässt Benito Mussolini hochleben. Auf dem Platz gerät der gerade aufgestiegene Gastgeber gegen die Startruppe aus der Hauptstadt schnell ins Schwimmen. Francesco Totti trifft in der 29. Minute für die Mannschaft von Del Neri, dem Nachfolger von Rudi Völler auf der AS-Trainerbank. Die gegnerischen Blöcke bewerfen sich mit bengalischem Feuer. Nach der Pause erhöht Montella auf zwei zu null. Es läuft schlecht für den AS Livorno. Schon die ganze Saison. Das Team steht auf dem vorletzten Tabellenplatz. Aber die Fans sind Enttäuschungen gewöhnt. Sie feiern jede Aktion von Lucarelli und Protti, auch wenn die beiden Spitzen gegen die römische Abwehr kein Licht sehen.

Der 1,90 Meter große Lucarelli ist die Symbolfigur des Mythos vom roten AS Livorno. Der 27-jährige ist in der Stadt geboren und hat eine Dauerkarte seit er 12 ist. Nach zehn Schuljahren hatte er die achte Klasse geschafft. Danach hat er nur noch Fußball gespielt. 1996 lief er zum ersten mal mit der U21-Nationalmannschaft im heimischen Stadion auf. Er schoss das 2:1 gegen Moldawien, lief unter die Tribüne, zog sein Trikot aus und zeigte sein Che-Guevara-Unterhemd. Dafür flog Lucarelli aus der Jugendauswahl. Danach spielt das junge Talent aus der Toskana für Spitzenklubs in Italien und Spanien und wenn er verletzt oder gesperrt war stand er in der Fankurve des AS Livorno, um sich Viertliga-Spiele anzugucken. Als sein Heimatverein in die serie B aufstieg, traf Lucarelli eine Entscheidung, die so unglaublich war, dass sein Spielervermittler zum Schriftsteller wurde. Das in diesem Jahr erschienene Buch über seinen Schützling heißt: Behaltet eure Millionen. Im Sommer 2003 stieg Lucarelli aus seinem gut dotierten Vertrag beim Erstligisten AC Turin aus und ließ sich kurz vor Saisonbeginn nach Livorno in die zweite Spielklasse verkaufen. Cristiano Lucarelli traf 25 Mal, wurde Torschützenkönig und schoss sein Team auf Anhieb in die erste Liga. Seine neue Rückennummer: 99, gewidmet den BAL, die sich in dem Jahr gegründet haben. Der Stürmer kennt jeden der Fans, die halb Italien für Kriminelle hält. Die meisten von ihnen kommen aus den schäbigen Wohnsilos im Nordteil der Stadt kommen, in denen er selbst aufgewachsen ist.

Als sich im Oktober zu den Niederlagen in der ersten Liga ein paar Fehlentscheidungen der Schiedsrichter gegen Livorno gesellten, witterte Lucarelli die Verschwörung: Es gibt in der Liga ein Komplott gegen uns, weil wir links sind. Der Verbalangriff schlug in Italien ein wie eine Bombe. Drei Tageszeitungen gibt es in dem Land, die sich nur mit Fußball beschäftigen. Lucarellis Statement verdrängte den Dopingskandal um Juventus von den Titelseiten. Seitdem hat der Verein seinem Star Presseverbot auferlegt. Doch der Goalgetter hatte genau das ausgesprochen, was jeder in Livorno denkt."

El pueblo unido jamás será vencido!

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